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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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Sippengeschichte’, ‚Psychopathologie der Landsersprache’ (ein Auftrag der Germanischen Akademie für Dichtung und Wahrheit in Weimar), ‚Zur Frage der Phantomschwangerschaften in Zuchtmutterklöstern’, ‚Der Speer des Pinchas als Penis-Symbol’, ‚Schema einer ätiologischen Therapie akzidenteller Kriegsneurosen’, ‚Das Wesen des heldisch-patrizischen Ideals’, ‚Eine Deckerinnerung in statu nascendi’, ‚Der Begriff Artfremdheit im Pentateuch (hasar hakareb jumat) und in der altdeutschen Sippengeschichte’, ‚Die ödipale Grundlage einer Lohengrin-Vision Adolf Hitlers’, ‚Sind unerlaubte Sexualhandlungen (gil-luj arajot) ein Beschwörungsmodus?’, ‚Über die Entstehung des spezifischen BDM-Orgasmus beim Anhören von Führerreden’ – ich könnte Ihnen noch ein Dutzend solcher Titel aufzählen. Wir dürfen uns sogar rühmen, in den obersten Rängen der Römischen Kirche ständige Geheimmitarbeiter zu haben, zum Beispiel einen sehr hohen Kleriker, den wir nur den Pater Präputius nennen – dieser augustinische Feuergeist lieferte uns zuletzt eine besonders glänzende Studie: ‚Anmerkungen zur Psychoanalyse der Schwarzen Messen’. Ich selbst schreibe im Moment an einer langerwarteten Abhandlung, die den Titel ‚Einige Widersprüche in »Die altmexikanische Kriegshieroglyphe atl-tlachinolli« von Alice de Tribade’ führt. Natürlich sind wir alle arg überlastet. Nicht nur, daß uns Universitäten und Akademien vor schöne Aufgaben stellen, wir tauschen auch unsere Erfahrungen mit anderen analytischen Untergrundzentren aus, wodurch sich eine Überfülle von fruchtbaren Diskussionen und Polemiken, leider aber auch viel persönlicher Hader ergibt. Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, daß wir gegenwärtig mit einer mächtigen Gruppe, die sich in den Ruinen von Alt-London verborgen hält und von einer Frau Professor Nebenzahl dirigiert wird, im Streite liegen, was Ihnen vielleicht um so verständlicher sein wird, als dieses Centre sich erdreistet, die Lehren Freuds in nuce zu vertreten und heute sozusagen ab ovo neu zu entwickeln, dabei alle übrigen Centres schwerwiegender Abweichungen von der Generallinie bezichtigt, ja sie als Abtrünnige, Scharlatane und Anmaßer brandmarkt. Natürlich können wir, die zur alten Garde zählen, da nicht untätig zusehen. Hauptsächlich wir und zwei weitere Centres, die als Noviziatschulen, das eine des Großklosters Megisti Lawra, das andere in Argesi, getarnt sind, führen den Kampf gegen eine verknöcherte Orthodoxie, die längst nicht mehr in unsere Welt paßt. Sicher geht bei derlei internen Konflikten viel Zeit und Energie verloren – andrerseits aber trägt der Wettbewerb unter den einzelnen Gruppen dazu bei, unsere wissenschaftliche Autorität zu stärken, unsere Methoden elastisch zu erhalten, die Lehre zu entschlacken und einer finalen, apollinischen Form zuzuführen. – – – Sie wissen, woran Gundlfinger jetzt arbeitet?“
    „Nein“, erwiderte Höllriegl verwirrt. „Ich bin neu am Ort.“
    „Verzeihung, Sie sagten es schon.“ Der augenscheinlich etwas altersgeschwätzige, sich selber gern zuhörende Vorsitzende, der wie ein Buch dozierte (Höllriegl mochte solche Leute nicht), redete unbeirrbar weiter. „Gundlfinger hat nichts Geringeres im Sinn als einen neuen Gottesbeweis, das geht klipp und klar aus der Aufgabe hervor, die er uns gestellt hat. Soweit wir seinen Arbeitsplan kennen, legt er der Spekulation den Ausspruch Pascals zugrunde: Nous ne vivons jamais, nous espérons toujours seulement de vivre. – – – Was ist denn, was ist denn?“
    Diese ärgerliche Zwischenbemerkung bezog sich auf das Verhalten der vier Beisitzer, die nun nicht mehr Höllriegl, sondern den Vorsitzenden mit ihren Brillengläsern anspiegelten, wobei sie leise mit den Füßen scharrten.
    „Die Herren finden, daß ich zuviel rede. Außerdem haben sie Hunger, es ist gleich Mittag. – – – Dieser Gedanke Pascals, konsequent weitergedacht, führt uns unweigerlich in eine quasi-schizoide Situation hinein, wie sie heutzutage von den Massen tatsächlich erlebt wird. Nämlich: im Endergebnis ist der Unterschied zwischen Geistesgestörtheit und der sogenannten Normalität geringfügig. Der Schizophrene erlebt das grauenhafte Los der Entfremdung von der Wahrnehmungswelt als sein Schicksal, wogegen der heutige Gesunde, mehr oder minder bewußt, unter dem Erlebniszwang einer traumatischen, von Willkür und Gewalt regierten, unendlich gefährdeten Zeit sich

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