Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
unbedingt.
„Bist du wirklich gründlich gewesen?“, fragte Royce mit täuschend sanfter Stimme.
Gregory hob die Brauen. „Glaub mir, der Junge hat alles verraten, was er weiß.“
„Spielt auch keine Rolle mehr. Falls das wirklich die Karten waren, hat sie sie bestimmt längst geholt.“
Gregory trocknete sich das Gesicht ab und legte sich das Handtuch um den Nacken. „Hat sie nicht. Sie hatte die Karten noch nicht geholt, als sie losgerannt ist, hat mir der Junge verraten.“
„Und dir ist nicht der Gedanke gekommen, dass er lügen könnte?“
Gregory verdrehte die Augen. „Ich hatte meine Klauen in seinen Eingeweiden, Royce. Der Bengel hätte mir auch erzählt, wo ich seine Mutter finden kann, wenn ich das gewollt hätte.“
Royce fuhr sich durchs Haar und starrte durch die offene Tür hinaus. Anscheinend dachte er über ihre nächsten Schritte nach. Es war zwar reine Zeitverschwendung, aber Gregory ließ ihn in dem Glauben, er hätte das Kommando. Im richtigen Augenblick würde er dem Spinner schon noch zeigen, wer hier der dominierende Casus war.
„Also muss sie wegen der Karten dorthin zurückkommen“, murmelte Royce endlich. „Wenn sie das tut, haben wir keine andere Wahl mehr. Dann müssen wir sie uns schnappen – aber leicht wird das nicht.“
Gregory wurde langsam klar, warum Calder so viel Vertrauen in Royce Friesen setzte. Offensichtlich erkannte Calder einen treuen Gefolgsmann, wenn er einen erblickte. Seit dem Beginn ihrer Gefangenschaft war Calder der erste Casus gewesen, der seine Artgenossen zu einer geschlossen zusammenarbeitenden Truppe geformt hatte, dem es gelungen war, die Anarchie in Ordnung zu verwandeln und ihnen allen wieder eine Hoffnung zu bieten … eine Möglichkeit zur Flucht. Wie ein Engel, der von Teufeln umgeben ist, versprach er ihnen Erlösung – und doch traute Gregory ihm nicht.
Und er hatte allen Grund, auf der Hut zu sein, denn zu seinem Bruder war Calder ganz und gar nicht ehrlich gewesen. Man hatte Malcolm nicht nur gewisse Informationen vorenthalten, sondern ihn auch in dem Glauben gelassen, es würde einige Zeit brauchen, bis Calder und seine Anhänger in der Lage wären, weitere Casus hinüberzuschicken. Kaum war Malcolm jedoch sicher auf der andere Seite angekommen, schickten sie zwei weitere Casus, die ihre jeweiligen Merricks jagten, um dann nach dem Dark Marker zu suchen, den Malcolm in seine eigene Gewalt bringen wollte. Und zwar nicht, weil das Calders Plan gewesen wäre, sondern sein Bruder wollte das Kreuz gegen Gregorys Freiheit eintauschen, für den Fall, dass er ihn nicht selbst herüberbringen könnte. Malcolm hatte nicht erwartet, so bald Konkurrenz bei der Jagd nach den Kreuzen zu bekommen. Sein Bruder musste überaus wütend geworden sein, als er herausfand, dass Calder gleich nach ihm noch andere geschickt hatte.
Dennoch war dieses „Hinüberschicken“ für Calder und seine Gefolgsleute ein langwieriger und zermürbender Vorgang, der ihnen bereits ziemlich zu schaffen machte. Und aus diesem Grund mussten die befreiten Casus auch ihren Beitrag zu den Anstrengungen leisten und aus eigener Kraft so viele weitere wie möglich herüberbringen. Bis zu diesem Tag waren drei Merricks erfolgreich getötet worden: einer in Kanada, einer in Deutschland und der letzte in Australien. In allen drei Fällen waren die Casus, nachdem sie sich von den Merricks ernährt hatten, in der Lage gewesen, einen weiteren herüberzuholen. Diese würden jetzt ihrerseits bei der Suche nach den Dark Markern helfen und alles tun, was in ihrer Macht stand, um die antiken Kreuze in die Finger zu kriegen, die Calder so verzweifelt begehrte. Außerdem würden sie jeden Merrick jagen, der einen Casus wieder zurück zum Meridian geschickt hatte. Ohne die Macht eines Dark Marker konnte die Seele eines Casus nicht zerstört werden, nicht so, wie Ian Buchanan Malcolms Seele vernichtet hatte. Einen Wirtskörper konnten die Merricks aber immer umbringen. In diesem Fall wurde der Casus sofort in das Gefängnis zurückgesogen, wo er auf seine erneute Befreiung warten musste.
Je mehr Casus es auf der Erde gab, desto weniger würde sich Calders Hoffnung auf Frieden unter ihnen erfüllen, das war Gregory klar. Seine Artgenossen waren so begierig darauf, wieder ihre alte Macht zu erlangen, dass sie sich in blutrünstigen Kämpfen um die alten Kreuze schlicht selbst zerfleischen würden. Denn Calder hatte jedem von ihnen reichen Lohn versprochen, der es schaffte, einen Dark Marker
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