Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
der Gedanke verflog, als sie in die Wohnung stürzte. Mit ihren Stiefeln trat sie auf etwas Feuchtes und Schleimiges … und in der nächsten Sekunde kniete sie auf allen vieren in einer riesigen Blutlache. Überall um sie herum war Blut, und der Magen kam ihr hoch. Galle stieg ihr in die Kehle, als sie den Kopf hob, aber bei dem Anblick, der sich ihr bot, hatte sie keine Luft mehr zum Schreien.
„Oh mein Gott“, wisperte sie mit vor Schock ganz tauben Lippen und rappelte sich wieder hoch. Dass Quinns starke, raue Hände ihr halfen, nahm sie nur entfernt wahr, ebenso wie den Fluch, den er ausstieß. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die zerfetzten Leichen der Brüder Ruiz konzentriert.
Alle vier saßen auf dem Boden, mit den Rücken an eine Wand des kleinen Wohnzimmers gelehnt, die langen Beine ausgestreckt, die Köpfe hingen zur Seite wie bei Stoffpuppen. Sie waren wie von Tieren grauenvoll zerfleischt, ganze Teile fehlten, als ob man sie … gefressen hätte. Was von ihren Körpern übrig war, glühte und schwelte noch, aber Flammen waren nicht zu sehen, als ob die Haut sich aus eigenem Willen einäschern wollte. Die Augen und die Münder standen offen, aus Letzteren floss langsam noch etwas Blut.
Ein hysterischer Aufschrei entrang sich den Tiefen ihres Körpers, den Körper vornübergebeugt, fuhr sie sich mit blutbedeckten Händen durchs Haar. Der Horror fraß sie regelrecht auf, als würde ein Gift durch ihre Adern rauschen, während sie an Javiers Familie dachte. Alle hatten sich so nahegestanden. Die Brüder hatten nur einander, und doch waren sie die großzügigsten Menschen gewesen, die Saige jemals kennengelernt hatte. Und nun waren sie alle tot – geradezu abgeschlachtet –, nur wegen ihr.
Der Casus, dachte sie. Das kann nur der Casus gewesen sein.
Verzweifelt holte sie tief Luft, und der Schmerz verwandelte sich von einer Sekunde auf die andere in rasenden Zorn, in mörderische Wut, die von ihren Fußsohlen nach oben stieg. Sie brannte unter ihrer Haut, und in diesem Augenblick wurde Saige klar, dass die Begierde des Merricks in ihr dem Hass und Zorn gewichen war. Als sie sich zu Quinn umwandte, wurde sein Blick auf einmal vorsichtig. Sein ganzer Körper spannte sich an. Saige wusste, dass er es auch spüren konnte. Er merkte, wie das Biest in ihr zum Vorschein kam, und sie konnte seiner stoischen Miene ansehen, dass er das akzeptierte.
Er war darauf vorbereitet, mit allem fertig zu werden, was sie von ihm wollte. Mit ihr fertig zu werden.
Tief aus ihrer Kehle drang ein wilder, gutturaler Ton, und sie prügelte mit Fäusten auf seine Brust und seine Schultern ein. Sie wollte, dass er zurückschlug und so ihre Attacke rechtfertigte, aber er hielt sie nur fest, ertrug ihre Schläge, versuchte sie lediglich davon abzuhalten, sich selbst zu verletzen. Das machte sie nur noch wütender, sie wollte ihn hassen, ihm wehtun. Saige schrie erneut auf, noch lauter und tiefer, bis ihr die Luft ausging und sie zitternd in Tränen ausbrach.
Da sie ihm nicht ins Gesicht sehen konnte, wandte sie sich ab, wieder den verkohlten Leichen zu, die mit sadistischer Sorgfalt an der Wand positioniert waren. Plötzlich zog sie ein vertrauter silberner Armring an der Leiche ganz rechts in seinen Bann. Seine Eltern hatten Javier diesen Armring an seinem sechzehnten Geburtstag geschenkt, und nur einen Monat später waren sie bei einem Brand in der Fabrik, in der sie beide arbeiteten, ums Leben gekommen.
Mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen bemerkte sie plötzlich, dass alle Finger seiner rechten Hand in unterschiedlicher Länge abgebissen worden waren, anscheinend einer nach dem anderen. Wieder kam ihr die Galle hoch, während ihr die Tränen über das brennende Gesicht flossen. Großer Gott. Hatte das Monster ihn auch noch gefoltert? Und wenn ja, warum? Javier hatte gar nichts über den Dark Marker gewusst. Nicht dass sie ihm nicht vertraut hätte – sie hatte ihn nur nicht in Gefahr bringen wollen.
Scheiße. Du hast wieder mal alles vermasselt.
Als Quinn in der Bar aufgetaucht war, hatte sie Javier sofort weggeschickt, um ihn zu beschützen, aber stattdessen hatte sie ihn direkt in die Arme dieses Monsters laufen lassen. „Wie … wie können die nur so was tun?“, flüsterte sie mit kaum vernehmbaren Krächzen.
Quinn legte ihr fast liebevoll eine Hand auf die Schulter und trat näher, bis sie seine seltsam tröstliche Wärme spürte. „Ich weiß auch nicht, was hier vorgeht, aber das war kein Casus. Ein Casus
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