Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
hat zumindest nicht alles von … dem da angerichtet.“
Saige schüttelte verständnislos den Kopf. „Das … das kapiere ich nicht.“
„Die Leichen. Wie sie da sitzen. Jemand will verschleiern, dass sie zerfleischt worden sind, und wer immer das war, er könnte noch in der Nähe sein. Wir müssen hier weg.“
Sie nickte wie betäubt, schwankte ein bisschen, das ganze Zimmer schien sich zu drehen. Quinn unterdrückte einen Fluch, hob sie hoch und trug sie aus der Wohnung. Saige verbarg das Gesicht an seiner Schulter und klammerte sich fest. Sie hatte keine Ahnung, wohin er sie brachte, und es war ihr auch egal.
„Sch“, flüsterte er, als sie wieder zu schluchzen begann, seine warmen Lippen berührten sanft ihre Schläfe, seine Bartstoppeln kratzten leicht auf ihrer Haut. „Ich halte dich fest.“
Sie erschauerte und drückte sich an seine Brust wie ein Kind. In diesem Augenblick hätte er sie bis ans Ende der Welt tragen können, sie hätte gar nichts dagegen gehabt. Saige atmete die Wärme und den Duft seiner Haut ein, eine Mischung aus Salz und Schweiß, gepaart mit einer gehörigen Portion Männlichkeit, und wollte nur noch vergehen in dieser Kombination aus Dschungel und Sonne und Mann. Wie Balsam für ihre Seele war dieser Duft, der doch nicht den entsetzlichen Gestank des Todes wegwaschen konnte, der sie bestimmt bis ans Ende ihrer Tage verfolgen würde.
„Wir müssen uns nach Sao Vicente durchschlagen“, sagte er mit sanfter Stimme, hob ihren Rucksack vom Boden auf und schritt schnell und entschlossen auf die Straße. „Heute Nacht bleiben wir in meinem Zimmer, und morgen früh verschwinden wir von hier.“
„Wenn du schlau wärst, Quinn, würdest du zusehen, dass du so schnell wie möglich weg von mir kommst.“ Sie kniff die Augen fest zusammen, wollte die schrecklichen Bilder vertreiben, aber sie hatten sich wie Narben in ihr Hirn eingebrannt. „Du hattest recht, mit allem. Sie werden mich jagen.“ Tränenüberströmt blickte sie ihn an. „Sie werden nicht lockerlassen, bis sie mich kriegen. Nicht, wenn sie zu so etwas in der Lage sind.“
Sein wachsamer Blick suchte unaufhörlich die vor ihnen liegende Straße ab. „Deshalb bin ich ja hier. Du musst das nicht allein durchstehen.“
„An meinen Händen soll nicht auch noch dein Blut kleben“, flüsterte sie, von Gefühlen übermannt.
„Das wird es auch nicht.“ Er zog sie fester an seine Brust. „Ich bin ein großer Junge, Saige. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen. Im Augenblick ist das Allerwichtigste, dich so schnell wie möglich nach Colorado zu bringen.“
Saige schluckte und wusste genau, was zu tun war, sobald sie die Kraft dazu aufbringen würde. Sie legte ihren Kopf wieder an seine Schulter. Es war merkwürdig, aber auf so intime Art in seinen Armen zu liegen schien für sie das Natürlichste auf der Welt zu sein. „Wie weit ist es bis zu deinem Hotel?“
„Ungefähr eine halbe Stunde. Sobald ich uns ein Taxi gefunden habe“, antwortete er.
Immer noch rannen ihr Tränen über das Gesicht. Sie konnte den Horror, den sie erblicken musste, nicht verscheuchen.
Und dennoch fühlte Saige sich vollkommen sicher, obwohl sie von nicht mehr beschützt wurde als der starken, besitzergreifenden Umarmung eines Fremden.
6. KAPITEL
Sao Vicente
Quinn konnte hören, wie sie unter der Dusche weinte.
Er lief ständig auf und ab, um die Verkrampfung loszuwerden, die seine Muskeln wie ein heimtückischer Parasit einschnürte. Die Klimaanlage brummte zwar, aber seine schweißbedeckte Haut glühte trotzdem, seine Muskeln zogen sich zusammen vor ungestümer Kampfeslust, aber im Augenblick konnte er nichts tun. Was passiert war, konnte er nicht wieder in Ordnung bringen. Stattdessen saß er in diesem geschmacklosen Hotelzimmer fest und musste zuhören, wie Saige fast zusammenbrach … ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
Verdammt, hör doch endlich auf zu heulen, fluchte er stumm und stellte sich vor, wie toll es sich anfühlen musste, das Schwein in die Finger zu kriegen, das die Brüder Ruiz so zugerichtet hatte. Es war nicht erstaunlich, dass Saige völlig fertig war, und obwohl er versuchte, diese Sache zu verdauen und schnell abzuschütteln – er schaffte es einfach nicht. Er war selbst zu mitgenommen und tigerte rastlos auf dem kitschigen Teppich hin und her. Er wünschte bloß, er könnte die letzten paar Stunden löschen und noch mal von vorn anfangen.
Ach Mist, wenn er doch bloß die letzten fünf Jahre
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