Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
Tränen zumuten. Später, wenn sie allein war, konnte sie sich immer noch ausweinen.
„Dazu hast du gar keinen Grund“, murmelte er, gleichzeitig entschlossen und sanft, und sie musste daran denken, wie er sie heldenhaft in seinen Armen aus dieser albtraumhaften Szene herausgetragen hatte. Ein kleiner, liebebedürftiger Teil von ihr hätte sich am liebsten wieder in seinen starken Armen zusammengerollt und an seine Brust geschmiegt, aber das wäre nun wirklich erbärmlich gewesen. Und außerdem vollkommen wahnsinnig.
Reiß dich zusammen, Saige. Du. Musst. Dich. Zusammen. Reißen.
Sie hatte noch so viel Wut in sich, die sich mit der unaussprechlichen Trauer verband, dass sie kaum atmen oder sich bewegen konnte. Gleichzeitig war da diese merkwürdige, irritierende Wärme. Tief in ihr drin begann etwas Heißes zu pulsieren, sie versteifte sich benommen in seinen Armen, von dem Weinkrampf war ihre Kehle völlig ausgetrocknet.
Saige konnte seinem Blick nicht länger standhalten, sah zur Seite, befeuchtete ihre Lippen und fragte sich, was da gerade mit ihr passierte. Es war, als würde einer dieser tropischen brasilianischen Regenschauer über ihr niedergehen, während es unter ihrer Haut stechend und heiß brannte. Alle ihre Sinne waren geschärft, als wäre sie von lauter Gefahren umgeben.
Und das stimmte in gewissem Sinne, denn Michael Quinns raubtierhafte Gegenwart war nur allzu deutlich spürbar. Sicher würde er ihr nichts antun, aber er bedeutete ganz eindeutig eine Gefahr für ihren Seelenfrieden. Für ihr Selbstwertgefühl. Für ihre Kontrolle über sich selbst.
Dass sie ihn am liebsten ins Bett ziehen würde, konnte sie nicht leugnen. Und sie selbst wollte von ihm genommen werden. Oh Gott, wie sehr wollte sie das. Sie wollte sich selbst verlieren … vergessen … das Entsetzen und den Terror mit Liebe und Lust verdrängen. Saige wollte sich an der betörenden Aura von Stärke festklammern, die von ihm ausging. Sie wollte diesen kraftvollen Fremden einatmen, einsaugen, gierig und verzweifelt alles nehmen, was sie von ihm bekommen konnte.
Ihre Begierde wurde mit jedem Moment stärker, und ihr gesunder Menschenverstand trat zurück.
Und in der nächsten Sekunde wusste sie auch schon, dass sie verloren war.
Von ihrer Lust geleitet drückte sie ihren Körper plötzlich an seinen, verbarg das Gesicht an seinem Hals und atmete ausgehungert die Wärme seiner Haut ein. Sie stöhnte auf, als ihr bei seinem männlichen Duft nach Salz und Schweiß und Moschus das Wasser im Mund zusammenlief – als sie den Wald und die Sonne und den Mann entdeckte. Die berauschende Mischung steigerte noch ihr Begehren.
Er erschauerte, spannte alle Muskeln an, als wolle er sie von sich stoßen, aber das tat er nicht. Stattdessen ergriff Quinn langsam ihr Gesicht mit seinen rauen Handflächen, drückte ihren Kopf zurück und sah ihr in die Augen. Seine Pupillen waren geweitet, das glänzende Schwarz schien seine Iris beinahe zu verschlingen, und seine Nasenflügel bebten, als er ihren Duft einsog. Tief aus seiner Brust drang ein Grollen hervor, seine Lippen öffneten sich ein kleines bisschen, sein Atem war warm und süß und köstlich und steigerte ihre Gier bis ins Unerträgliche. Er wirkte wie ein Mann, der zwischen Himmel und Hölle festsaß, über einem Abgrund hing – doch plötzlich ließ er in einer Art wütender Ergebung den Kopf sinken. Er packte ihr feuchtes Haar, während er mit seinem Daumen über ihre Kehle strich und provozierend auf ihre Halsschlagader drückte und sie seinen heißen Mund ganz dicht bei ihrem spürte. Ihre Lippen berührten sich nur ganz zaghaft, als hätte er Angst, ihr zu nahezukommen. Aber sie hatte längst alle Vorsicht vergessen.
Endlich küsste sie ihn, wild, mit offenem Mund, und wäre beinahe gestorben, als sie seinen vollkommenen, warmen und honigartigen Geschmack auf der Zunge wahrnahm. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um noch mehr von ihm zu bekommen. Das Handtuch glitt von ihren Schultern. Nie in ihrem Leben hatte sie einen solchen zwanghaften Drang gespürt. Und als Quinn ihren Kuss endlich erwiderte, konnte sie nur noch denken, wie sehr sie das jetzt brauchte, diesen Kuss, diesen Augenblick, strahlend und rein, voller Zärtlichkeit die grausamen Wunden heilend, die ihrer Seele geschlagen worden waren.
Diese Nacht war ein einziger Albtraum gewesen, und jetzt fühlte sie sich wie die Überlebende eines Schiffbruchs, die aus eisigen sturmgepeitschten Wellen gerettet und in die
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