Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
verschwinden. Sie hatte keine Ahnung, wie lange Quinn gewartet haben mochte, bevor er anfing, nach ihr zu suchen – oder ob er sich überhaupt diese Mühe gemacht hatte –, aber die Menschenmassen auf den Straßen waren auf jeden Fall von Vorteil für sie gewesen. Sie tat ihr Bestes, um jeden abzuschütteln, der ihr folgen mochte, seien es nun die Casus oder das Kollektiv. Nun, da sie sich dem Eingang der Bar O Diablo Dos Àngels näherte, drückte sie ihre Hand an die Brust, um wieder normal Luft holen zu können.
Du bist nervös.
Na klar, dachte sie. Die Casus können überall sein. Jeder konnte ein Casus sein.
Ganz ruhig. Sie erwarten ganz bestimmt nicht, dass du ausgerechnet hierher zurückkommst. Hier bist du sicher.
Vielleicht. Zumindest so sicher, wie es in Anbetracht der Umstände möglich war.
Außer, Quinn wäre bei dir.
Saige unterdrückte ein Stöhnen und betrat die schummrige barra . Für die meisten Gäste war es noch zu früh, nur ein paar Säufer hockten auf den Holzstühlen und hielten Hof wie degenerierte Fürsten. Inez bemerkte sie sofort und winkte sie nach hinten, ins Büro. Saige bahnte sich ihren Weg an den Tischen vorbei und folgte der älteren Frau durch eine Schwingtür in einen schmalen Gang. Sie hatte ein ungutes Gefühl, hier sein zu müssen und dabei womöglich Inez und ihren Mann Rubens in Gefahr zu bringen, aber sie konnte die Karten unmöglich hier zurücklassen. Doch nach dem, was Javier zugestoßen war, musste sie das Paar zumindest warnen.
Eigentlich war es der reine Wahnsinn, was sie alles anstellte, nur damit ein Stück Metall in Sicherheit war, aber diese verdammten Schweinehunde durften das Kreuz auf keinen Fall in die Finger kriegen. Da würde sie lieber sterben. Eigentlich ergab es gar keinen Sinn, aber dieser Dark Marker hatte … Sie suchte nach dem richtigen Wort, um sich zu erklären, was schlicht und ergreifend unerklärlich war. Und nun war sie hier und riskierte ihr Leben für diese alten Landkarten, in der Hoffnung, dass sie sie zu den übrigen Kreuzen führen würden.
Zwei gefunden. Wer weiß, wie viele ich noch suchen muss.
Ein stechender Kopfschmerz wurde immer schlimmer, doch Saige biss die Zähne zusammen und folgte Inez bis zur letzten Tür des Gangs, an die ein verblassendes dunkelrotes „Confidencial“ genagelt war. Als Inez sich zu ihr umdrehte, stiegen Saige wieder die Tränen in die Augen. „Javier und seine Brüder sind tot.“
Inez nickte. Ihre rot geränderten Augen verrieten, dass sie bereits von den Morden wusste. „Wo ist der Amerikaner?“, fragte sie auf Portugiesisch.
Das erstaunliche Wahrnehmungsvermögen von Inez überraschte Saige schon lange nicht mehr. Diese Frau schien immer alle möglichen Sachen zu wissen, die sie eigentlich nicht wissen sollte, als hätte sie einen sechsten Sinn. „Den hab ich abgeschüttelt.“
Inez kniff die Augen zusammen und gab ein leises „Ts, ts, ts“ von sich. „Wenn er dich vor dem Bösen beschützen kann, das hinter dir her ist, war das nicht besonders klug.“
„Ich hatte keine andere Wahl“, murmelte sie, verblüfft über diese schlichte Aussage. Normalerweise war Inez genauso misstrauisch wie sie selbst.
„Hmm“, äußerte die ältere Frau, und Saige musste den Impuls bekämpfen, sich unter ihrem prüfenden Blick zu winden. „Aber er bedeutet dir doch etwas, oder nicht?“
Tiefe Röte stieg ihr ins Gesicht, und das hatte nichts mit der drückenden Hitze zu tun. Der kleine Ventilator auf dem Schreibtisch konnte die feuchtheiße Luft nur herumwirbeln, aber nicht für Abkühlung sorgen. „Mach dich nicht lächerlich. Ich kenne ihn doch kaum.“ Sie ging in dem kleinen, überladenen Büro hin und her, während Inez sich hinkniete und den Safe öffnete. „Und vor vierundzwanzig Stunden kannte ich ihn noch gar nicht, Inez.“
„Glaubst du immer noch, Zeit wäre so wichtig? Ich dachte, du wärst inzwischen klüger geworden.“
Saige schloss die Augen und betete stumm, dass Inez nicht wieder einen ihrer gut gemeinten Vorträge über die Natur des Menschen, das Universum und das Schicksal begann.
Sie strich sich ein paar Locken aus dem Gesicht, die sich aus dem Pferdeschwanz gestohlen hatten, und sah zu, wie Inez ein kleines, in Wachstuch geschlagenes Päckchen aus dem Safe holte und ihr hinhielt. „Es ist nur zu seinem Besten“, rechtfertigte Saige sich unsicher, nahm die Karten und stopfte sie in ihren Rucksack. „Er hat es nicht verdient, in meinen Albtraum hineingezogen zu
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