Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
Watchmen, durch die Fensterwand drang nur noch ein bisschen Zwielicht der Abenddämmerung. Mit einem Seufzer hob er die Flasche und bemerkte den Wasserring, den sie auf dem glänzenden antiken Tisch hinterlassen hatte. Das überraschte ihn nicht. Anscheinend hatte er es an sich, überall Schaden anzurichten, wo er hinkam, als wäre er eine Art Fluch oder Pest für die ganze Menschheit.
Er nahm einen großen Schluck und ließ das eisgekühlte Bier die Kehle hinunterrinnen, bis seine Augen tränten. Er verzog das Gesicht, stellte die Flasche wieder auf den Tisch und dachte über seine eigene Feigheit nach.
Er hatte keine Ahnung gehabt, was für ein Feigling er im tiefsten Innern war, bis er mit seiner Gier nach Saige konfrontiert wurde. Aber jetzt wusste er es. Er gab sich alle Mühe, diese alles verzehrende Rachsucht, mit der er seit so vielen Jahren Seth McConnell verfolgte, tief in sich zu verschließen, wo sie hingehörte. Dieser Soldat mit dem schönen Gesicht war vermutlich verantwortlich dafür, dass sein Leben mit Janelle zerstört worden war – aber jede Chance, die es möglicherweise für eine gemeinsame Zukunft mit Saige gab, hatte er sich selbst vermasselt.
Nachdem McConnell verschwunden war, hatte er sich wieder auf den Rücksitz des Avalanche gesetzt, noch immer kochend vor Wut, dass sie es nicht nur gewagt hatte, diesen Bastard anzufassen, sondern ihm auch noch ihre Handynummer gegeben hatte. Am liebsten hätte er das neue Handy aus dem Fenster geschleudert, aber es war am Gürtel ihrer Jeans befestigt, und sie ließ es keine Sekunde aus den Augen.
Während sie durch die Berge zum Lager fuhren, dachte er über die neue Verbindung zwischen den Casus und dem Kollektiv nach. So recht daran glauben mochte er immer noch nicht. Selbst nach allem, was er vorhin erfahren hatte, nachdem so viele Einzelteile des verwirrenden Puzzles sich endlich zusammenfügten, konnte er nur den Kopf darüber schütteln. Gern hätte er das alles mit Saige besprochen, aber sie schwieg beharrlich. Zwar beantwortete sie aus Höflichkeit ein paar von Kierlands und Shraders Fragen, ansonsten saß sie aber so weit wie möglich von ihm entfernt und starrte mit verschränkten Armen aus dem Fenster, mit den Gedanken Millionen Kilometer weit weg.
Aller Wahrscheinlichkeit nach gab sie sich selbst die Schuld an dem Verschwinden ihres Freundes, und er betete, dass sie ihn lebend retten könnten. Aber große Hoffnungen hegte er da nicht. Falls Westmore einen Austausch vorschlagen würde, war völlig klar, was er als Tauschobjekt verlangen würde, und Quinn war wild entschlossen, Saige nicht einmal in die Nähe von Westmore und seinen Schergen zu lassen.
Außerdem war er nicht der Einzige, dem ihr Wohlergehen am Herzen lag.
Beim Gedanken an die Szene, als Saige endlich ihre beiden Brüder wiedersah, übermannte ihn die blanke Melancholie. Er nahm noch einen Schluck Bier. Eigentlich hatte er erwartet, Ian und Riley würden sie sofort mit Vorwürfen überhäufen, warum sie nicht um Hilfe gerufen, ja, sich überhaupt nicht gemeldet hatte. Aber nichts dergleichen. Kaum war sie durch das breite Tor in die Haupthalle von Ravenswing eingetreten, hatten die beiden sie abwechselnd in die Arme geschlossen und an ihre Brust gedrückt, als ob sie vor Freude ganz außer sich wären, sie gesund und unverletzt wiederzusehen. Quinn hatte dabeigestanden und sich wie ein Außenseiter gefühlt, was er ja auch war. Nach dem Abendessen war sie mit ihren Brüdern und Molly noch etwas trinken gegangen, und es hatte keinen Zweifel gegeben, dass Quinn nicht eingeladen war. Eigentlich kompletter Schwachsinn, wegen so etwas gekränkt zu sein, er konnte das auch kaum vor sich selbst einräumen, aber wenn man allein im Dunkeln saß und ohne Gesellschaft soff wie ein jämmerlicher Esel, war es ziemlich schwierig, sich vor den eigenen Dämonen zu verstecken.
Quinn stand auf, marschierte auf dem polierten Hartholzboden auf und ab und fluchte leise vor sich hin, als Saige die Tür öffnete und den im Zwielicht liegenden Raum betrat.
„Quinn? Was machst du denn hier?“ Sie schloss die Tür hinter sich, aber es war ihr deutlich anzumerken, dass sie überhaupt nicht mit ihm gerechnet hatte.
Sie knipste eine kleine Lampe an. Nervös und gereizt trat er auf sie zu. Sein Blick war streitlustig. Das milchige Licht erhellte nur einen Teils des Raumes, die Ecken blieben im Dunkeln. Innerlich fühlte er sich ganz ähnlich. Nur ein kleiner Teil seiner selbst sollte ans Licht
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