Wenn das Glück dich erwählt
den ansehnlichen Betrag bezahlte, den Mr. Murdoch ausgerechnet hatte.
Irgendwann kam dann der Moment, sich für die Nacht zurückzuziehen. Scully, trotz seiner guten Laune, sa h ganz hager vor Erschöpfung aus, und Abigail war schon lange eingeschlafen in dem großen Bett, zusammen mit Hortense, die sich wie üblich neben ihr auf dem Kopfkissen zusammengerollt hatte.
»Sie können sich hier am Kamin hinlegen«, sagte Scully dem alten Mann und zeigte auf die Liege. Evangeline starrte ihren so genannten Ehemann an, aber er löschte nur die Lampen und schob sie zum Bett hinüber. Es war stockfinster, als sie sich entkleideten, und trotzdem konnte sie das Weiß von Scullys langen Unterhosen sehen. Kühn hob er die Decken und stieg auf der anderen Seite in das Bett.
Es war einfach zu kalt, um noch länger aufzubleiben, und so kapitulierte Evangeline und legte sich neben Abigail, die schlafend zwischen ihnen lag.
»Scully Wainwright«, wisperte Evangeline empört, »Sie sind ein Schurke!«
Scully gab sich keine Mühe, leise zu sprechen. »Gute Nacht, Liebling«, sagte er. »Ich liebe dich auch.«
8
E s war noch dunkel, als Evangeline am nächsten Morgen aufstand, nach den erstbesten Kleidern griff und in den bitterkalten Anbau floh, um sich ungesehen anzuziehen. Der Boden und die Luft waren so eisig, dass sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper bildete. Sie zitterte vor Kälte, und das erschwerte den ganzen Vorgang natürlich noch.
Als sie angezogen war, ging sie zuerst zum Herd, ohne die Lampen anzuzünden, öffnete die Ofentür, um die Glut zu schüren, und legte dann mehrere Scheite trockenen Kiefernholzes nach. Dann brühte sie Kaffee auf - es war noch reichlich heißes Wasser in dem Reservoir, dank der freundlichen Bemühungen des Hausierers in der Nacht zuvor - und ging zum Kamin, um auch dort das Feuer zu beleben.
Während sie es tat, schaute sie sich nicht ein einziges Mal nach Mr. Murdoch um, der auf der Liege schnarchte - aus Angst, ihn unbekleidet zu erblicken.
»Guten Morgen«, sagte Scully leise hinter ihr. Seine Nähe löste eine Bewegung in den winzigen Härchen an ihrem Nacken aus, als wollten sie sich sträuben; es war ein merkwürdiges Gefühl, das sich aus freudiger Erwartung und köstlichem Unbehagen zusammensetzte und völlig anders war als alles, was sie je empfunden hatte.
»Sie ... du hättest nicht aufstehen sollen«, wisperte sie und wählte das vertrautere du, um den alten Mann, der hinter ihnen lag und vielleicht gar nicht mehr schlief, nicht misstrauisch zu machen. »Du glaubst vielleicht, du wärst wieder gesund, aber diese Wunden waren ernst...«
Scully rührte sich nicht vom Fleck, obwohl er ganz dicht hinter ihr stand. Einen schier endlosen Moment lang glaubte sie, er werde jetzt vielleicht ihren Nacken oder auch nur ihre Schulter küssen. Ein leises Erschauern durchzuckte sie, das nichts mit der noch immer bitterkalten Luft des Raums zu tun hatte.
»Unsinn«, sagte er mit leiser, ganz ungewöhnlich schroffer Stimme. »Je länger ich herumhege und mich selbst bedaure, desto länger wird es dauern, bis ich wieder auf den Beinen bin.«
Evangeline fragte sich, ob Scully gut geschlafen haben mochte. Sie selbst hatte einen ziemlich unruhigen Schlaf gehabt, weil ihr irgendwie die ganze Zeit bewusst gewesen war, dass sie nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren.
»Im Gegenteil«, fühlte sie sich aufgrund ihrer Erfahrungen als Krankenpflegerin verpflichtet zu erwidern, »du könntest damit alles nur noch schlimmer machen. Setz dich wenigstens ans Feuer. Ich bringe dir Kaffee, wenn er fertig ist.«
Mr. Murdoch begann laut und ziemlich umständlich zu husten, womit er sie vermutlich warnen wollte, dass er nicht mehr schlief. Es war anzunehmen, dass er sehr viel Erfahrung darin besaß, die Nacht in den Häusern Fremder oder flüchtiger Bekannter zu verbringen. Evangeline hörte, wie die Liege ächzte unter seinem beträchtlichen Gewicht, als er sich aufrichtete, aber natürlich dachte sie nicht daran, auch nur einen Blick in seine Richtung zu riskieren.
Im schwachen Dämmerlicht des frühen Morgens sah sie Scullys schiefes Grinsen. Ihr Gefühl für Anstand belustigte ihn offenbar.
»Wie ist das Wetter heute morgen?«, ließ Mr. Murdoch sich vernehmen. Obwohl seine Stimme von Natur aus laut und dröhnend war, bemühte er sich, Abigail zuliebe leiser zu sprechen, und diese rücksichtsvolle Geste machte ihn Evangeline noch viel sympathischer.
Sie erkannte an der Stille
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