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Wenn das Glück dich erwählt

Wenn das Glück dich erwählt

Titel: Wenn das Glück dich erwählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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mit zwei vollen Eimern Schnee zurück, und das war gut, weil die erste Ladung unter der Hitze von Abigails Körper bereits auftaute. Die Augen des Mädchens waren jetzt wieder geschlossen, und ihre Haut war noch immer stark gerötet, all seinen Bemühungen zum Trotz. Scully leerte die beiden Eimer über Abigail aus und deckte sie noch einmal damit zu, so wie Kinder einander am Strand im Sand eingraben.
    »Sie wird erfrieren«, sagte Evangeline . Ihre Augen waren sogar noch größer als Abigails, und dunkle Schatten lagen unter ihnen. Ihre Wangen sahen so hager aus, als hielte sie schon seit Tagen Wache, statt seit Stunden erst, und Scully fragte sich - obwohl es wenig Zeit zum Überlegen gab -, wie er sie je verlassen sollte.
    »Schließ die Tür«, antwortete er und wandte Abigail wieder seine Aufmerksamkeit zu, »oder wir werden alle erfrieren.« Er wollte nicht riskieren, das Kind länger als höchstens zehn Minuten auf diese Weise abzukühlen. Er war schließlich kein Arzt - die Schneetechnik war lediglich etwas, worüber er einmal in einem Buch gelesen hatte, aber sie erschien ihm sinnvoll. »Hol ihr ein frisches Nachthemd«, wies er Evangeline an, »und sorg dafür, dass genügend Decken auf dem Bett hegen.«
    Evangeline gehorchte widerspruchslos, was in jeder anderen Situation ein Phänomen gewesen wäre, das einer Sternschnuppe am mittäglichen Himmel gleichkam.
    Scully hob Abigail, die triefnass und durchgefroren war bis in die Knochen, vorsichtig aus dem Waschzuber. Evangeline kam mit dem Nachthemd und einigen Handtüchern, zog ihre Tochter am Tisch schnell aus und nibbelte sie trocken, bevor sie ihr das Nachthemd anzog und sie zum Bett hinübertrug.
    »Und was tun wir jetzt?«, fragte sie, als sie vor dem Bett stand und besorgt auf Abigail hinabblickte.
    Scully trat hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern, um ihre steifen Nackenmuskeln zu massieren. »Abwarten«, sagte er.
    Sie drehte sich um und schaute zu ihm auf, und in diesem Augenblick hätte er alles getan, alles auf der Welt, um ihr die Last der Krankheit ihrer Tochter abzunehmen, ihr und Abigail, und sie selbst zu tragen. Aber so, wie die Dinge standen, konnte er wenig anderes tun, als abzuwarten und mit Evangeline zu hoffen und zu beten.
    Er holte einen der Stühle und stellte ihn neben das Bett. Als Evangeline das Ding bloß ansah, als wäre es aus dem Fußboden hervorgewachsen, drückte Scully sie sanft darauf. Dann holte er seine eigene Decke aus dem Anbau und legte sie um ihre Schultern, bevor er zum Herd hinüberging, um Kaffee aufzubrühen. Er wünschte, er wüsste, wie man Tee bereitete, denn das war es, was Miss June-bug immer wollte, wenn sie sich nicht ganz wohl fühlte - eine gute Tasse Tee, die sie auch immer zu beleben schien. Aber er hatte leider keinen Tee im Haus, und so musste es eben Kaffee sein.
    Er brühte ihn frisch auf, schüttete den alten fort, der noch vom Frühstück übrig war, und als er fertig war, füllte Scully einen Becher für Evangeline , in den er zusätzlich noch einen Löffel Sahne und einen großzügigen Schuss
    Whiskey gab. Als er den Becher durch das Zimmer trug und ihn neben Evangeline abstellte, auf den Deckel ihrer Reisetruhe, schaute sie mit trüben, hoffnungslosen Augen zu ihm auf, obwohl sie sich noch immer große Mühe gab, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Sie war sehr tapfer, tapfer wie jeder einzelne der Männer, an deren Seite er gekämpft hatte, nachdem die Unionstruppen in den Süden eingefallen waren und einen grausamen Krieg damit verursacht hatten.
    »Sie hat jetzt schon wieder ein bisschen Farbe, nicht?«, wisperte Evangeline .
    Scully betrachtete das Kind prüfend. Ihre Lippen waren blau angelaufen, von der Kälte ihres Schneebads zweifellos, aber unter ihrer wachsbleichen Haut war bereits wieder die erste schwache Farbe zu erkennen. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe, wie sie dort lag, perfekt gestaltet, aber ohne Leben. Scully war ganz und gar nicht sicher, dass sie die Nacht überleben würde, obwohl er es um nichts auf der Welt vor Evangeline zugegeben hätte. »Vielleicht ein bisschen«, räumte er ein. Er konnte sich auch nicht dazu überwinden, sie zu belügen. »Trink deinen Kaffee, Eve. Du siehst todmüde aus.«
    Sie nahm den Becher in beide Hände, Hände, die gerötet waren von harter Arbeit und vom Schnee, und Scully wurde von einer überwältigenden Zärtlichkeit für sie erfasst, die noch viel intensiver war als alles andere, was er für diese Frau

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