Wenn das Glück dich erwählt
duldete diese Art von Unterhaltung nicht. Für ihn war Tanzen eine Sünde.«
Scully gab jetzt ein leichtes, aber unmissverständliches Schnauben von sich. »Sünde? Das muss aber ein langweiliger alter Knabe gewesen sein«, bemerkte er und leerte seinen Kaffeebecher.
»Er war ein braver Mann«, protestierte Evangeline, aber mehr aus Loyalität als Überzeugung. Charles war in der Tat ein »langweiliger alter Knabe« gewesen, die meiste Zeit zumindest, aber er war auch gut und fürsorglich gewesen. Auf jeden Fall hatte er nie einen solch emotionalen Aufruhr in ihr ausgelöst wie Scully.
»Das tut jetzt nichts zur Sache«, sagte Scully und schaute sie aus schmalen Augen an. »Ich weiß, dass hier nicht viele Leute leben, aber einige gibt es doch in dieser Gegend, und das Tanzfest wird die Gelegenheit sein, sie kennen zu lernen. Ich werde dir gleich nach dem Abendessen die Schritte zu einer Polka zeigen.«
Evangeline starrte ihn betroffen an. Es erschien ihr alles andere als ratsam, sich von Scully anfassen zu lassen, und wenn auch nur zum Tanzen, und dennoch fand sie die Aussicht zu verlockend, um sie direkt von der Hand zu weisen. »Du hast seit Weihnachten kaum ein Wort mit mir gewechselt«, gab sie zu bedenken. »Und jetzt willst du mich das Tanzen lehren. Warum, Scully?«
Es hatte sie sehr verletzt, dass er sich nach diesem wundervollen Weihnachtstag, nach dem Baum und den Geschenken, so gründlich und so abrupt von ihr zurückgezogen hatte. Er war als Freund zu Bett gegangen an diesem Weihnachtsabend und am nächsten Morgen aufgestanden wie ein Fremder, der nur das Nötigste mit ihr gesprochen hatte und ihr aus dem Weg gegangen war, so gut er konnte.
»Du weißt, warum«, sagte er.
Hinter ihnen, am Kamin, hörten sie Abigail mit ihrer Katze und ihrem Holzpferd sprechen. Sie spielte Lehrerin, und Hortense und das Pferdchen waren ihre Schüler. Es lag etwas sehr Beruhigendes in diesen alltäglichen Geräuschen.
»Nein«, entgegnete Evangeline aufrichtig, »ich weiß es nicht. Wir kennen uns kaum noch, Scully. Was ist geschehen?«
»Das Problem ist nicht, was geschehen ist«, erwiderte er, »sondern was geschehen wird. Und zwar sehr bald schon. Big John wird in ein paar Wochen zurückkehren, Eve. Du und ich, wir haben kein Recht, einander mehr zu sein, als wir es waren. Aber ich möchte mit dir tanzen und einen Grund haben, dich zu halten, bevor ich dich für immer gehen lassen muss.«
Evangeline spürte, wie ihr die Tränen kamen, und drehte sich rasch um, damit Scully sie nicht sah. Tief Atem holend, tupfte sie mit dem Zipfel ihrer Schürze über ihre Augen. »Ich kann es nicht ertragen«, sagte sie, und ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, das der Frühlingswind davontrug.
Und da berührte Scully sie, was er schon seit Weihnachten nicht mehr getan hatte, legte seine Hände auf ihre Schultern und drehte sie sanft zu sich herum. »Es tut mir leid, Eve«, sagte er. »Ich wollte es dir nicht noch schwerer machen. Ich wollte nur ...«
»Glaubst du, das weiß ich nicht?«, rief Evangeline. »Ich will aber mehr als einen Tanz. Ich will, dass du bleibst und ...«
Scully legte einen Finger an ihre Lippen und neigte den Kopf zur Seite, um ihr in Erinnerung zu rufen, dass Abigail ganz in der Nähe war. »Es ist unmöglich«, sagte er. »Das hatten wir bereits geklärt. Der Ball wird nur veranstaltet, um Big Johns Heimkehr zu feiern, Eve. Jacob wird erwarten, euch beide noch während deines Aufenthalts in der Station zu trauen.«
»Jacobs Erwartungen sind mir egal«, zischte sie, »und Big Johns ebenfalls! All das erschien mir... machbar, nachdem Mr. Keating gestorben war und Abigail und ich die Farm verlassen mussten, aber jetzt, wo es wirklich dazu kommen soll...«
»Hör mir zu«, fiel Scully ihr ins Wort. Sein Ton war ungewöhnlich scharf, obwohl er Abigail zuliebe noch immer sehr gedämpft sprach. »John Keating ist ein anständiger Mann, einer der besten, die ich je gekannt habe. Er hat sich so einsam und allein gefühlt hier draußen, dass er mir oft wie ein einziger großer Schmerz erschien, wenn er mit kummervoller Miene hier herumlief. Er hat in gutem Glauben nach dir geschickt, und du hast dich bereit erklärt, zu kommen. Er verlässt sich darauf, dass ich auf dich aufpasse, bis er zurückkehrt. Ich werde ihm nicht das Herz brechen, und du, Ma'am, wirst es auch nicht.«
Sein Vortrag traf Evangeline wie ein Faustschlag ins Gesicht; aber vielleicht war das ja auch bezweckt gewesen. »Wie
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