Wenn dein dunkles Herz mich ruft (German Edition)
sie und seht zu, dass sie sich nicht gegenseitig zerfleischen“, bellte Barron. „Wir gehen an Land.“
Der englische Regen wurde feiner und kälter und durchtränkte die Crew binnen Sekunden. Kimberly war froh um Barrons braunes Hemd aus festem Stoff, das die wichtigsten Körperteile verhüllte – auch, wenn sie das ihm gegenüber niemals zugeben würde. Die Gruppe ließ den Hafen hinter sich und steuerte eine Straße an, wo Barron eine Kutsche anhielt. Der Fahrer wollte bei ihrem Anblick sofort weiterfahren, Barrons Pistole jedoch belehrte ihn eines Besseren. Kimberly bemitleidete den alten Mann mit seiner dunklen Kleidung und den schlohweißen Haaren, die unter seinem Hut hervorschauten. Sie war nicht sicher, ob er den nächsten Morgen noch erleben würde. Barron schob Kimberly und Tyler in die Kutsche, er selbst und Frankie folgten. Die restliche wartete auf den Augenblick, weitere Kutschen stehlen zu können.
„Willst du gar nicht wissen, wo wir hinfahren?“, fragte Barron.
„Nein.“
„Freust du dich, wieder Zuhause zu sein?“
Kimberly richtete ihren Blick langsam auf ihn. „Ich habe kein Zuhause mehr.“
Barron lachte sein dröhnendes Lachen und für einen winzigen Augenblick wirkte er beinahe wieder wie der Mann, der Kimberly großgezogen hatte. Aber nur beinahe. „Sei doch nicht so melodramatisch, Kimy, das warst du doch früher nicht. Ich dachte, du liebst Abenteuer.“
„Aber keine Selbstmordkommandos. Schon gar nicht, wenn ich dabei einem Tyrannen diene.“
Barron zuckte zurück und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Ich bin kein Tyrann! Ich will dir deine Familie zurückgeben. Für immer!“
„Ja sicher.“ Kimberly lachte hart und schüttelte den Kopf. „Du bist ein alter Narr. Das wird niemals funktionieren und das weißt du auch.“
„Du irrst dich, mein Kind. Ich habe alles, was ich brauche. Den Stein von Anór, den Dolch Aelyza, ein dunkles Kind und ein reines. Ich habe das Blutopfer und das Buch. Es wird gelingen. Ich werde euch alle unsterblich machen.“
„Du wirst uns alle umbringen!“
„Nein. Nein, das werde ich nicht. Ich sorge gut für meine Crew. Ich bekomme Melinda zurück und die Crew wird unsterblich werden und alles wird gut sein. So wie früher. Ich kann endlich dein Vater sein.“
Kimberly schnaubte. „Du bist so naiv! Er wird uns alle töten! Und du wirst niemals mein Vater sein. Matt war mein Vater.“
„Matt? Matt ist tot. Matt ist als Baby gestorben. Er war niemals dein Vater, er war dein Bruder, du dummes Gör!“
„Mein …“
„Weißt du, warum Melinda mir verraten hat, wo ich den Stein finde? Weißt du, warum sie die anderen reinen Kinder verraten hat? Weil sie Matt wieder haben wollte! Und ich will sie wiederhaben! Was ist daran so falsch?“
Kimberly schwieg und schüttelte bloß den Kopf. Das waren zu viele Neuigkeiten, die sie erst einmal verdauen musste. Ein Bruder. Die anderen reinen Kinder. Melinda, ihre Mutter. Ein Teil von ihr fragte unschuldig, ob Barrons Pläne wirklich so schlimm waren, ob sie sich nicht freuen würde, endlich ihre Mutter zurückzubekommen. Er lockte und verführte. Sie schloss die Augen und erinnerte sich an Gavin. Den lebendigen und den toten und daran, dass Barron an all dem Schuld war. Sie durfte ihm nicht helfen.
Die Kutsche ruckelte und holperte über den steinigen Boden und fuhr erst dann sanfter, als sie die weiche Erde erreichte, die den Pfad zum Friedhof bildete. Äste schlugen gegen die Kutschenkabine, der Wind umtoste sie und Vögel schrien in den Wäldern. Barron schlug die schweren Vorhänge beiseite, die das Fenster der Kutsche verdeckten, und spähte hinaus. Eine verregnete Nacht umhüllte sie und der Sichelmond am Himmel spendete kaum Licht. Nicht einmal die Laternen konnten den Weg erhellen. Kimberly wandte fröstelnd den Blick ab. Wer wusste schon, welche Kreaturen in den Wäldern lauerten? Sie mochte die englischen Bäume noch weniger als den karibischen Dschungel, sie waren groß und düster und ganz und gar unheilvoll.
Lapis nisi deleatur…
Er konnte spüren, wie sie ihrem Ziel näher kamen. Die Seele im Stein schrie voller Vorfreude, während Anór in seinem steinernen Gefängnis auf und ab tigerte. Es würde nicht mehr lange dauern und er konnte diesen alten, zerbrechlichen Körper endlich verlassen. Er würde frei sein, endlich frei sein. Er schmeckte die Macht auf seiner Zunge und wollte sie endlich wieder auskosten, er wollte leben und herrschen. Nun war seine Zeit
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