Wenn der Acker brennt
seine Pfeife anzündete und schwieg.
Christine schaute zur Seite zum geöffneten Fenster hin, beobachtete, wie die wenigen Sonnenstrahlen durch die dichte Krone der Weide drangen, sich ihren Weg in das spärlich eingerichtete Wohnzimmer bahnten, über die grüne Ledercouch vor dem offenen Kamin tanzten, das Buffet, den Esstisch und den einsamen Stuhl streichelten und sich schließlich in der Dunkelheit des Hauses verloren. Rick saß neben ihr auf der Bank, streckte die Arme auf der Lehne aus und schaute über die Felder.
Christine wartete darauf, dass einer der beiden Männer den Anfang machte und ihr mehr von Amata erzählen würde, wie sie es angekündigt hatten.
»Kennst du sie noch?«, durchbrach Georg Denninger endlich die Stille, als Rick einen Schokoladenkeks nahm.
»Die haben Gundi und Sie früher zu Weihnachten für uns Kinder gebacken.« Rick atmete den Duft der Orangen ein, mit denen der Teig verfeinert war. Langsam ließ er die Schokolade auf der Zunge zergehen. Die Kekse, die Sommerhitze, das Rascheln der Weizenhalme. Er war wieder zu Hause.
»Ja, die Gundi und ich, die einsamen Seelen, die zu Weihnachten nicht allein sein wollten – und es noch immer nicht wollen.« Georg Denninger lächelte in sich hinein.
»Gundi Moosbacher? Die Sprechstundenhilfe des alten Arztes?«, fragte Christine.
»Gundi und ich, wir sind seit der Schule gut befreundet und stehen uns gegenseitig bei. Wir sind zwei Übriggebliebene. Sie war zeitlebens in unseren Doktor verliebt und hat ihn nicht bekommen, und ich …«
»Und Sie?«, hakte Christine nach, als Denninger innehielt und sein Blick sich verlor.
»Sie hieß Irma, war Musiklehrerin und aus der Stadt zu uns aufs Land gezogen. Irma liebte die Berge. Eines Morgens ist sie allein losgezogen. Aber in der Nacht zuvor hatte es heftig gewittert, und einige Wege waren unterspült worden. Eine Gerölllawine hat sie erwischt und in den Abgrund gerissen.«
Christine legte ihre Hand auf die des alten Mannes, der jetzt weit entfernt schien. Er tat ihr unendlich leid.
»Entschuldigt mich kurz«, bat er, stand abrupt auf und verschwand im Haus.
»Er hat sich nie wieder verliebt?«
»Nie wieder«, antwortete Rick.
»Kanntest du Irma?«
»Ich hatte bei ihr drei Jahre Klavierunterricht. Ich habe sie vergöttert. Sie war wunderschön, trug immer lange Kleider und Blumen im Haar. Ich denke, sie war ein Hippie. Auch Amata hat für sie geschwärmt.«
»Amata hatte eben Geschmack. Hier, das solltest du dir anschauen.« Georg Denninger gab Rick den großen braunen Briefumschlag, den er aus dem Haus geholt hatte, und setzte sich wieder in den Schaukelstuhl.
»Was soll ich damit?«
»Lies es, ich will nicht allein entscheiden, was damit werden soll.«
»Was wollen Sie nicht allein entscheiden?«, fragte Christine, als Denningers Blick sie streifte.
»Für dich habe ich auch etwas«, lenkte er sie von ihrer Frage ab und reichte ihr einen zweiten Umschlag.
»Wer ist das?« In dem Umschlag befand sich eine Fotografie. Sie zeigte drei junge Frauen in bunten Sommerkleidern, die fröhlich in die Kamera lachten und auf derselben Bank saßen wie sie und Rick gerade.
»Das ist Irma«, sagte Denninger und deutete auf die junge Frau in der Mitte, auf deren schwarzen Haaren ein Margeritenkränzchen thronte. »Links von ihr, das ist Marietta Linden, Ricks Mutter, und rechts neben meiner Irma –«
»Das ist meine Mutter, Betti«, kam Christine ihm zuvor. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie sich darauf konzentrieren musste, das Bild nicht fallen zu lassen. »Wie kann das sein? Meine Mutter hat nie von Sinach erzählt. Sie hat ihre Eltern im Zweiten Weltkrieg verloren und ist als Kriegswaise in einem Kloster aufgewachsen. Auf dem Bild sieht sie so glücklich aus, obwohl sie mir doch immer erzählt hat, dass sie die Berge hasst. Ich verstehe gar nichts mehr.« Ihre Hand verkrampfte sich, sie musste das Foto loslassen. Wieso hatte ihre Mutter diesen Teil ihres Lebens vor ihr verborgen?
»Warum bist du dann hier, wenn du davon nichts wusstest?«, wunderte sich Georg Denninger.
»Weil ich das hier gefunden habe.« Wie betäubt griff Christine in ihre Umhängetasche, reichte ihm das Tagebuch und das Bild von Amatas Grab.
»Wieso kommst du damit zu uns? Will Betti deine Fragen nicht beantworten?«
»Meine Eltern hatten vor Kurzem einen Verkehrsunfall. Sie sind beide tot«, antwortete Christine und kämpfte gegen die Tränen an. Auf einmal tat es wieder so weh.
»Tut mir leid, bei
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