Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
aus. Wir strahlen wie die Christbäume, hängen Wagen an, lassen Weichen springen und Signale klappen, bis nach Mitternacht. Es wird eine wirklich schöne Stunde, oder zwei, oder drei.
Am nächsten Tag befiehlt der Schröder den Kühlmeier ins Chefbüro.
»Was hat er wollen?« frag ich, als er mit sorgenvollem Gesicht zurückkommt.
»Wissen, wem die Lok g‘hört. Jetzt will er Dich sprechen – alles Gute – o je, o je.«
Mir ist flau, als ich vor dem Humorlosen stehe. In seinem Büro scheint es gut 10 Grad kälter zu sein als draußen. Pause – halber Blick von unten herauf – Pause. Dann ein leises: »Setzen Sie sich.«
Ist das ein gutes Zeichen, oder ein schlechtes? – Sicher ein ganz schlechtes.
»Danke vielmals.«
Pause – Dann:
»Hm – Sie haben da gestern –« –
Ich unterbrech ihn sofort. Vorwärts, denk ich, gleich den Wind aus den Segeln nehmen.
»Entschuldigen Sie vielmals, es ist das Weihnachtsgeschenk für meinen lieben kleinen Dominik, weil der ist eisenbahnverrückt, und die Lok läuft nicht, da hab ich sie dem Kühlmeier nur gezeigt, ob er sie vielleicht wieder in Gang bringt – natürlich außerhalb der Bürozeit –! Wir haben das gestern nur kurz debattiert, entschuldigen Sie – äh –«.
Das letzte, ersterbende »Äh« hängt lange im Raum. Eine große Pause folgt. Der Magenkranke blickt mich unter halb geschlossenen Lidern an. Sein Mund zuckt. Bringt er die Kündigung nicht heraus, oder will er erst noch meine Angst auskosten –?
Da folgt die große Überraschung, mit der ich zunächst nichts anzufangen weiß, denn er fragt halblaut, ich kanns gar nicht recht verstehen: »Läuft wieder?«
»Bitte –? – Äh – Ja – oh ja – danke – läuft – danke.«
Danke ist natürlich total blöd. Er hat ja nichts getan, daß sie wieder läuft, aber ich denke, bloß höflich sein mit Magenkranken, nicht aufregen, und sagt gleich noch einmal:
»Danke.«
Und was sagt er? Er blickt lange auf seinen Schreibtisch herum, als suche er etwas, ehe er plötzlich mehr murmelt als spricht:
»Die T 18, nicht?« –
»Wie bitte?«
»Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung, Nahverkehr, ab 1898 für ganz Europa gebaut, die T 18 – ein treues Tier.«
»Ebedä – äh – ja –«, bring ich nur heraus, merke, daß mein Unterkiefer herabhängt, was mir gewiß einen leicht blöden Ausdruck verleiht, und klappe rasch den Mund zu.
Er fragt kaum hörbar weiter: »Woher haben Sie sie?«
»Oh – die hat mir mein Vater vor dem Krieg, als Bub, zu Weihnachten –.«
»Mhm«, nickt der Gestrenge, und plötzlich begibt sich vor meinen Augen ein Mirakel: über das, was er als sein Gesicht ausgibt, zieht ein Lächeln herauf. Ich glaub ich spinn, aber nein, wahrhaftig, da ist das Niegesehene: Schröder lächelt!
»Erste Bauserie«, flüstert er, »rares Sammlerstück. Sie haben nach Dienstschluß was vor?«
»Nnnein –.«
»Fahren Sie auf ‘ne Stunde mit mir. Zeig Ihnen was. O.k.?«
Na, freilich ist das o. k.! Ich verneige mich, renne raus, und als Kühlmeier mir draußen Beileid wünscht, muß ich laut lachen, woraufhin er glaubt, die Kündigung habe mir den Verstand geraubt.
Schröder wohnt ja nun in einem förmlichen Palast, von Rassehunden bewacht, draußen im Prominentenviertel, und hat einfach alles. Sein Chauffeur hat eine Livree-Köchin und Stubenmädchen haben Respekt, Ehefrau hat er keine, sondern demzufolge stets seine Ruhe. In der haust er ganz allein auf seinen Latifundien.
Er führt mich persönlich in den ersten Stock, nachdem er die Dienstboten verbellt hat, öffnet eine Türe – und abermals klappt mein Unterkiefer herunter: Ich trete in einen Festsaal, vollgepfropft mit Spur Null.
Ein Gebirge mit Schnee und Tunnels auf der einen, ein Hafen am Meer auf der anderen Seite. Hauptbahnhof, Rangierbahnhof, Nebenbahnhöfe, Viadukte, Bahnwärter- und Streckenhäuschen, Dörfchen, kleine Leutchen, Autos, Verkehr, eine Kuhherde – auf den Geleisen IC, EC, Eil- und Güterzüge. Als er die Miniwelt von seinem erhöhten Steuerplatz aus schaltet, rasen sie umeinander, halten, warten, fahren an, Lichter blinken und wechseln die Farben, Schranken öffnen und schließen, und im Gebirge rauscht ein Wasserfall, ein echtes Wasser, zu Tal.
Mein Mund bleibt lange offen. Um halb sieben bringt das Stubenmädchen einen Imbiß mit Lachs und Chablis, wir spielen ein bißchen, und als ich auf die Uhr schaue, ist es kurz nach zwölf. Sakradi.
Ja, Sakradi – denn das ist nicht mehr unser
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