Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
Schmerzensschrei ließ diese das Zeugnis des Amtsarztes fallen. Augenblicklich wirbelte der Wind es um die Kajütecke, die Reling entlang. Ohne nachzudenken, stürzte Dorothea dem hellen Flecken nach. Versuchte, ihn keinen Moment aus den Augen zu verlieren, als könnte sie ihn dadurch davon abhalten, unwiederbringlich aufs Meer hinausgeweht zu werden. Der Wind trieb es von einer Seite des Decks zur anderen, hob es leicht an, ließ es dann wieder los, und es lag reglos, bis sie es fast greifen konnte. Fast hatten ihre Finger es berührt, da packte ein Wirbel es erneut und ließ es verspielt übers Deck tanzen.
Etwas sauste durch die Luft, bohrte sich mit einem dumpfen Aufprall durch das Papier hindurch in die Deckplanken und blieb zitternd stecken. Ein seltsam geformtes Messer hatte Rosies kostbare Bescheinigung nur eine Handbreit von einer der Lücken in der Reling entfernt festgenagelt.
» Danke.« Dorothea keuchte und versuchte, durch die losen Haarsträhnen, die ihre Sicht behinderten, zu erkennen, wer ihr da so buchstäblich in letzter Sekunde zu Hilfe gekommen war.
» Keine Ursache«, erwiderte ein junger Mann. Der unbekannte Helfer bückte sich, zog die Klinge aus dem Holz und reichte ihr mit einer höflichen Verbeugung das inzwischen ziemlich mitgenommene Blatt. Das war er! Um ein Haar hätte sie es sofort wieder fallen gelassen. Es war kein Zweifel möglich, vor ihr stand der dunkelhaarige Lockenkopf aus der Gruppe vom Pier.
» Hallo, ich bin Dorothy«, sagte sie schüchtern. » Und wie heißt du?«
» Ian.«
» Du bist sehr geschickt mit dem Messer.« Sie musterte neugierig die extrem dicke, kurze Klinge. » Das ist kein normales Messer, nicht wahr?«
» Nein.«
Besonders gesprächig war er nicht. Sie zermarterte sich den Kopf, was sie ihn noch fragen könnte, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
» Ich habe dich noch nie hier auf Deck gesehen«, sagte sie schließlich. » Du warst doch nicht etwa im Kabelgatt eingeschlossen?« Angesichts seiner unheimlichen Gewandtheit mit dem seltsamen Wurfmesser schien ihr das eine mögliche Erklärung für seine Abwesenheit zu sein.
» Das war ich nicht!« Er errötete. Zuerst vermutete sie aus Ärger, aber es war wohl eher aus Verlegenheit, denn er fuhr fort: » Ich war krank. Ich habe den Seegang nicht vertragen.«
» Geht es dir jetzt wieder besser?« Dorothea bemühte sich, mitfühlend zu klingen. Sie selbst und ihre Familie hatten nicht darunter gelitten, aber Mr. Gibbs hatte ihnen erzählt, dass es Menschen gab, die selbst den leichtesten Wellengang nicht vertrugen. » Armselige Landratten«, hatte er sie genannt.
» Ja.« Er schien zu spüren, dass sie mehr erwartete, und so fügte er hinzu: » Ich helfe jetzt dem Zimmermann. Mr. Gibbs meinte, ich wäre an der frischen Luft am besten aufgehoben. Falls es wieder losgeht…«
» Thea, du kannst doch nicht einfach so davonrennen!« August und die anderen waren ihr gefolgt. Rosie stürzte mit einem Freudenschrei auf Dorothea zu. » Du hast es! Danke, vielen Dank«, stammelte sie, faltete den Bogen sorgfältig und schob ihn wieder in die Tasche.
» Ich hätte es nicht geschafft, wenn Ian es nicht aufgehalten hätte«, wehrte Dorothea Rosies Dankbarkeit ab und wies auf den Jungen, der, ohne die Zuschauer zu beachten, gelassen das Messer in seinem Stiefelschaft verstaute. » Er verdient deinen Dank viel mehr als ich.« Der Anblick des Messers hatte eine eigentümliche Wirkung auf die Umstehenden. Rosie wich ängstlich zurück, und einige der Männer warfen Ian fast feindselige Blicke zu.
Augusts Augen hingegen wurden groß wie Untertassen. » Du kannst Messer werfen?«, fragte er. Seine Stimme war voller Bewunderung. Dorothea erinnerte sich, dass er, nachdem eine Zigeunertruppe in Dresden ihre Kunststücke vorgeführt hatte, einige Wochen lang davon geträumt hatte, sich ihnen anzuschließen. Besonders der Messerwerfer und seine Künste hatten es ihm damals angetan. Deswegen war sie nicht überrascht, als ihr Bruder bat: » Würdest du es mir beibringen?«
Ian richtete sich auf und musterte ihn mit undurchdringlichem Ausdruck. Er war noch recht jung. Dorothea schätzte, dass er etwa ihr Alter haben dürfte. Aber in seinen Augen lag mehr Lebenserfahrung, als es den Jahren entsprochen hätte. » Was bietest du mir dafür?«, erwiderte er bedächtig.
» Wie bitte?« August zwinkerte verblüfft.
» Was würdest du mir dafür geben, wenn ich dir zeige, wie man mit einem Messer wirft?«
» Ähm…« Ihr
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