Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
habe nicht geträumt. Ich habe den bösen Mann wirklich gesehen«, beharrte sie und blieb stocksteif stehen.
» Unter deinem Bett?«
Die prompte Antwort war ein verächtliches Schnauben. » Du glaubst mir ja doch nicht!«
» Also gut, lass uns nachsehen, was dich so erschreckt hat«, entschied Dorothea und schlüpfte, nicht allzu begeistert davon, ihr warmes Bett zu verlassen, in ihre Pantoffeln. Die Nächte im September waren noch ausgesprochen frisch, auch wenn die Akazienknospen bereits dick und prall waren. Es war aber wohl das Zweckmäßigste, dem Kind zu zeigen, dass es diesen bösen Mann nicht gab, vor dem es sich so fürchtete. » Wir gehen jetzt zuerst in dein Zimmer, und du ziehst dir Schuhe an«, sagte sie streng, wobei sie den Gürtel ihres wattierten Morgenmantels zuband. » Und dann führst du mich dorthin, wo du ihn gesehen hast.«
Heathers Zimmer lag nach Süden hinaus, und während Dorothea darauf wartete, dass das Mädchen seine Samtslipper und ein Bettjäckchen anzog, ließ sie ihren Blick über die vom Mondschein erhellte Ebene bis zum Murray River schweifen. Einige der einzeln stehenden Bäume und Büsche warfen bizarr geformte Schatten, die man bei oberflächlicher Betrachtung durchaus mit dem Schatten eines Menschen verwechseln konnte. Wahrscheinlich hatte Heather im Halbschlaf aus dem Fenster gesehen, und ein solcher Schattenriss hatte sie genarrt.
» Fertig?«
» Willst du wirklich nach draußen gehen? Was ist, wenn er uns auflauert?« Heather schielte ängstlich aus dem Fenster.
» Sei nicht albern. Selbst wenn sich dort draußen jemand herumgetrieben haben sollte, ist er inzwischen sicher wieder verschwunden. Mrs. Perkins’ Vorratskammer ist so fest verschlossen wie die Kronjuwelen im Tower.«
Bei dem unpassenden Vergleich musste Heather kichern. Der Bann war für einen Moment gebrochen. Dann wurde sie wieder ernst. » Er war nicht bei der Vorratskammer. Er war bei der Latrine.« Mit dem Zeigefinger wies sie auf das Gebüsch bei dem Holzhäuschen, dessen Zweige sich in der nächtlichen Brise tatsächlich wie lebende Wesen zu bewegen schienen.
» Dort drüben. Er hat genau zu mir hochgesehen«, flüsterte Heather kaum hörbar. » Ich habe mich hinter der Gardine versteckt, und da hat er gelacht. So…« Sie imitierte erstaunlich treffend ein höhnisches Grinsen. » Und dann hat er ein kleines Tier hochgehalten und ihm zuerst den Kopf und danach die Beine ausgerissen.«
Jetzt wurde es Dorothea doch mulmig zumute. Heathers Erzählungen klangen so erschreckend real. Sie musste schlucken, ehe sie bemüht leichtfertig sagte: » Das hört sich ja fast wie eine von Tante Arabellas Geschichten an. Bist du sicher, dass er das arme Tier wirklich getötet hat? Konntest du sehen, was es für eines war?«
Heather schüttelte nur den Kopf.
» Dann sollten wir schleunigst nachsehen, was da vor sich gegangen ist.« Dorotheas vorherrschender Gedanke, sich vor ihrer Stieftochter nur ja keine Blöße zu geben, ließ sie mutiger handeln, als es sonst der Fall gewesen wäre. Der Vollmond schien so hell, dass sie gut auf Kerzen verzichten konnten. Als sie die Hintertür öffnete, schrie ein Vogel. Schrill wie in Todesangst. Heather drängte sich dicht an sie und flüsterte: » Wollen wir nicht doch lieber Sam wecken?«
» Sam braucht seinen Schlaf«, flüsterte Dorothea automatisch zurück. » Ich sehe nichts Ungewöhnliches bei der Latrine.« Tatsächlich gab es nicht das geringste sichtbare Anzeichen dafür, dass sich hier ein solch blutrünstiges Geschehen wie das von dem Mädchen beschriebene abgespielt hatte. » Sieh selbst, hier ist nichts.« Beinahe mit Gewalt zerrte sie das widerstrebende Kind hinter sich her, um ihm zu demonstrieren, wie normal alles war. Kein zerfetzter Tierkadaver, keine Blutlache.
Die innerliche Anspannung wich Erleichterung und einer Art Triumphgefühl. Sie hatte sich von Heather nicht ins Bockshorn jagen lassen! Also war die Geschichte mit dem bösen schwarzen Mann wirklich nichts als ein Trick, um Aufmerksamkeit zu erregen, wie sie insgeheim schon vermutet hatte. » Und hier ist auch nichts!« Entschlossen, diese Farce ein für alle Mal zu beenden, griff sie nach der Latrinentür und riss sie auf.
Da ihr Blick dabei fest auf Heathers Gesicht geheftet war, sah sie nicht, was diese sah. Das Gesicht der Kleinen schien urplötzlich zu einer Grimasse des Grauens zu zerfließen. Ihre aufgerissenen Augen starrten wie gebannt auf etwas im Inneren der Latrine, ihre freie
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