Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
ihrem Haar, und sie wusste ganz genau, was das war. Ihr Schuldbewusstsein hatte sie wieder im Griff. Dem man nie entkommt. Das man niemals los wird.
Er trank von seiner Limo, steckte den Becher in den Tassenhalter und griff nach seinen Zigaretten. Sie erschauerte, als seine Hand ihr Knie berührte. „Na los“, ermutigte er sie und steckte die Zigarette an. „Ich kann das schon aushalten.“
Molly starrte durchs Fenster auf den leeren Highway, holte tief Luft und überlegte, wie sie anfangen sollte. „Es war nicht immer so wie jetzt … mit diesen Stimmen, die ich im Schlaf höre. Es fing im ersten Jahr auf der Highschool an, als eine meiner besten Freundinnen Selbstmord beging. Sara. Ich war auf ihrer Beerdigung, und gleich danach redete sie mit mir, jedes Mal wenn ich einschlief.“
„Das muss ganz schön furchterregend gewesen sein.“ Er klang nachdenklich, ohne jeden Anflug von Unglauben oder Hohn, womit sie bisher immer konfrontiert gewesen war, wenn sie versuchte, ihm etwas zu erzählen.
„Ja, das war es. Ich war zu Tode erschrocken und wollte nichts davon wissen, aber sie hörte einfach nicht auf. Jede Nacht war sie wieder da und flehte mich an, jemandem zu erzählen, dass ihr Stiefvater sie missbraucht hätte. Vor ihrem Tod hat sie versucht, ihrer Mutter davon zu erzählen, aber diese Frau behauptete, sie würde sich das nur ausdenken, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie warf ihr vor, Sara wäre bloß eifersüchtig auf das Glück ihrer eigenen Mutter. Der Stiefvater missbrauchte sie weiter, und das … das ist der Grund, weshalb sie sich umgebracht hat.“
Ian fluchte leise vor sich hin. „Aber ihr wart doch noch Kinder. Was zum Teufel hast du denn gemacht?“
Ihre Schuldgefühle schienen Molly zu umfangen wie eine klebrige Masse, die ihr die Luft zum Atmen nahm. „Ich habe gar nichts gemacht. Ich hatte viel zu viel Angst, alle würden mich für verrückt halten.“ Im Schoß ballte sie vor Scham die Fäuste. „Ich wollte das alles unbedingt meinen Eltern erzählen, der Polizei …“ Der Satz blieb in der Luft hängen, bis sie sich dazu zwang, mit zugeschnürter Kehle die Wahrheit zuzugeben. „Aber ich hab’s nicht gemacht.“
„Hat sie weiterhin Kontakt mit dir aufgenommen?“
„Ja.“ Mit bitterem Lächeln wandte sie ihm das Gesicht zu und fing seinen erschütterten Blick auf. „Und ziemlich schnell musste ich auf die harte Tour lernen, dass ich gar nicht verrückt war.“
Molly starrte einen pochenden Muskel an seinem Kiefer an und erklärte, was sie damit meinte. „Saras Stiefvater war ein mächtiger Richter in unserem Bezirk, und wenn Aussage gegen Aussage stand, würde mir kein Mensch glauben, das war mir klar. Deshalb unternahm ich gar nichts, und ein paar Monate später wurde ein junges Mädchen aus der Klasse unter uns brutal vergewaltigt und ermordet. Sara erschien mir wieder und sagte, das wäre der Richter gewesen.“ Sie schluckte die Galle runter, die ihr die Kehle hochkam, und hielt mühsam die Tränen zurück. „Und ich … ich raffte endlich meinen Mut zusammen und ging zur Polizei. Die dachten natürlich, ich hätte sie nicht alle, bis ich ihnen erzählte, wo er den Strick versteckt hatte, mit dem er das Mädchen gefesselt hat. Den haben sie in seinem Keller gefunden, zusammen mit einer blutverschmierten Locke von ihr, die der kranke Bastard als Souvenir aufgehoben hat.“
Sein Blick war durchdringend. Er wusste, dass sie ihm nicht alle Einzelheiten erzählen wollte. Aber anstatt weiter zu drängen, sagte er ruhig: „Und seitdem hast du immer auf die Stimmen gehört.“ Es war keine Frage.
„Ich habe es versucht, und tatsächlich konnte ich Menschen helfen. Aber das hier … das ist das erste Mal seit damals, dass wieder Menschenleben auf dem Spiel stehen. Damals konnte ich es nicht verhindern, aber diesen Fehler kann ich nicht noch einmal machen. Als Elaina zum ersten Mal sagte, was sie von mir verlangte, war ich ganz krank vor Angst. Es hat Tage gedauert, bis ich den Mut fand, hierherzukommen und dich zu finden, aber schließlich ist mir klar geworden, dass das meine Chance ist … mich von dieser Schuld reinzuwaschen. Seit dem ersten Mal bin ich nie mehr gewesen als ein Bote für die Toten, der kleine Nachrichten aus dem Jenseits überbringt. Es tut mit leid und ich wünschte, ich hätte dir gesagt . Entschuldigungen. Erklärungen. Nur so harmloses Zeug. Aber seit Sara ist dies das erste Mal, dass ich wirklich die Möglichkeit habe, etwas Schlimmes zu
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