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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Pieper
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regelmäßig. Auf Facebook und per SMS . Und auch auf der einen oder anderen Party sahen die drei gar nicht so krank aus, wie sie am Vormittag noch offiziell gewesen waren. Aber das hätte natürlich niemals jemand preisgegeben. Nicht einem Lehrer. Das wäre Hochverrat gewesen. Schüler mussten doch zusammenhalten, wenn der Lehrer – der Feind – solch entscheidende Informationen erpressen wollte. Wenn jemand die Hausaufgaben nicht gemacht hatte, behauptete der Sitznachbar ja schließlich auch selbstverständlich, dass man die Aufgaben zusammen gemacht und nur einer die Ergebnisse notiert habe. Da hielt man dicht, auch wenn ich keinen Lehrer kenne, der diese Ausrede hätte gelten lassen. Lehrer sind da einfach nicht flexibel genug.
    Trotz unseres Zusammenhalts trug Herr Löchel routiniert ein kleines «f» für «fehlend» hinter die betreffenden Namen und notierte sich im Geiste die Mitarbeitsnote  6 . Auch das kannten wir nach einiger Zeit schon. Waren wir am Anfang noch froh gewesen, dass er so schnell aufgab, unser Fehlverhalten zu kritisieren, mussten wir nach dem ersten Halbjahreszeugnis feststellen, dass er sie keinesfalls verdrängt hatte. Auch die Klassenbucheinträge hätte man schnell vergessen, wären unsere Lehrer nicht so pingelig gewesen und hätten immer, wenn drei Einträge zusammenkamen, einen Brief an unsere Eltern geschickt, die die darin formulierte Rüge sehr schnell in eine sehr real existierende meist den Fernseh- oder Computerkonsum betreffende Strafe ummünzten. Herr Löchel hatte also mit seinen Einträgen sogar Einfluss auf unsere Freizeitgestaltung, und ich glaube, allein deshalb bereitete es ihm ein diebisches Vergnügen, unsere Fehler akribisch zu notieren.
    Sobald diese ganze «Büroarbeit» abgeschlossen war, begann der Unterricht. Der Blutdruck der Schülerschaft sank auf Ruhepulsniveau, Herr Löchel kramte eine Folie hervor, die er auf den Tageslichtprojektor legte, und begann, über Städtebau und Landschaftsveränderung zu referieren. War das projizierte Bild anfangs noch deutlich zu sehen, machte sich nach einiger Zeit das Alter des Projektors bemerkbar: Das Bild wurde unscharf und schließlich bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Herr Löchel, der nur auf die Folie selber und nicht auf die Leinwand schaute, merkte davon allerdings nichts, und uns Schüler störte es nicht. Bis auf irgendeinen hyperaufmerksamen Mitschüler, der ihn nach einigen Minuten darauf hinwies. So verhielt es sich auch bei Rechtschreibfehlern an der Tafel. Es waren immer dieselben, die unsere Lehrer darauf aufmerksam machten und die dafür stets ein Lob erhielten, das sie mit einem überglücklichem Lächeln quittierten, als wollten sie sagen: «Ja, Herr Löchel. Hab ich doch gerne gemacht. Im Gegensatz zu allen anderen hier bin ich total interessiert und hochengagiert. Jetzt bekomme ich doch sicherlich eine ganz tolle Note, oder?» Das war nervig und überflüssig. Denn im Groben hatten wir die Landschaftsveränderung ja verstanden: Es verschwimmt eben alles zu einer großen grauen Masse. Das hatte etwas von autogenem Training. Hätte Herr Löchel jetzt nicht von «heterogen strukturierten Kulturräumen» gesprochen, sondern von Traumlandschaften und Phantasiereisen, es wäre das reinste Wellness gewesen.
    Unterbrochen wurde diese beschauliche Stimmung dann jeweils abrupt durch den Schulgong. Pause! Von jetzt auf gleich waren alle Schüler wieder wach, packten ihre Sachen und verließen den Raum. Dass Herr Löchel noch die Hausaufgaben anschrieb und mit einem «Der Lehrer beendet den Unterricht» das letzte bisschen seiner Autorität einforderte, wurde ignoriert und durch lautstarkes und demonstratives Einpacken der Schulmaterialien mindestens drei Minuten vor Unterrichtsschluss ins Gegenteil verkehrt. Gegen diesen Lärm soll ein Lehrer erst mal ankommen. Wir haben noch jeden übertönt. Da nützt alles Schreien, Drohen oder lautes Schlagen mit dem Klassenbuch auf das Lehrerpult nichts. Uns war klar: Dem beugen wir uns nicht. Wir sind das Volk!
    «Du musst das Wasser fühlen»
    Ein von mir äußerst gehasstes Fach war der Sportunterricht: Sport und ich – das geht einfach nicht zusammen. Ich bekam zwar Noten, mit denen ich leben konnte, die Notenvergabe wurde aber immer begleitet von einem: «Na ja, du hast dich immerhin bemüht.» Der Zusatz «… aber du kannst es einfach nicht» kam keinem Lehrer über die Lippen. Das hatten sie wahrscheinlich alle im Studium gelernt: immer schön positiv

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