Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
fühlte man sich zu Hause. Nur leider ließ sie mich nicht rein. Also, sie ließ mich schon rein, aber nicht sofort. Immer wenn ich geklingelt habe, tönte es aus der Gegensprechanlage: «Hallo, wer ist denn da?» Ich sagte: «Mama, ich bin’s.» Und sie antwortete: «Ach du. Na, wie war denn die Schule?» «Mama, lass mich doch erst mal rein!»
Wenn es eines gibt, was ich hasse, dann ist das vor der eigenen Tür zu stehen und nicht reinzukommen. Als wäre unser Haus ein Hochsicherheitstrakt und der kleine, allmittägliche Smalltalk über den Schulvormittag das Passwort. Und wenn meine Mutter mich dann reinließ, dann stand sie oft mit einem vorwurfsvollen Gesichtsausdruck in der Tür und sagte: «Mensch, jetzt sind mir die Frikadellen angebrannt, weil du so lange an der Sprechanlage mit mir quatschen musstest.» Hallo!?!?!? Ich wollte doch nur rein! Tür auf, ich gehe durch, Tür zu, drinnen, fertig.
Da hätte ein Rudel Wölfe hinter mir her sein können, meine Mutter hätte durch die Sprechanlage gequäkt: «Rede mal lauter, man versteht dich so schlecht. Wer jault denn da so rum?»
Irgendwann habe ich dann einfach immer einen Schlüssel mitgenommen. Meine Mutter war anfangs zwar etwas irritiert, wenn ich dann plötzlich in der Küche stand, ohne vorher mit ihr geredet zu haben. Aber nach einer Weile gewöhnte sie sich daran.
Bei Kindern, deren Eltern beide berufstätig sind, ist es ja ganz normal. Die Schulkameraden, bei denen das so war, fanden das anfangs ganz toll. Schließlich konnten sie unabhängig von ihren Eltern ihre Zeit verbringen, und es meckerte auch keiner herum, wenn sie mal nicht rechtzeitig zu Hause waren, sondern noch bei einem Kumpel Playstation spielten. Nach einiger Zeit beneideten mich aber doch einige dieser Mitschüler darum, dass ich sofort, wenn ich daheim war, eine warme Mahlzeit bekam und mich nicht erst noch selber in die Küche stellen musste. Dafür können meine Mitschüler heute besser kochen als ich. Alles hat eben seine Vor- und Nachteile.
Viele machen den Eltern dieser «Schlüsselkinder» ein schlechtes Gewissen: «Das ist doch ganz furchtbar, wenn die Kinder alleine zu Hause sind und sich keiner um sie kümmert.» Aber das ganze Problem wird sich bald lösen, wenn flächendeckend die Ganztagsschule eingeführt worden ist. Dann kommen die Kinder später oder zeitgleich mit ihren Eltern nach Hause. Das war bei mir schon so, wenn ich Nachmittagsunterricht hatte. Übrigens ein Moment, in dem ich meinen Vater nicht leiden konnte. Nicht, weil er mir irgendwas getan hätte, sondern einfach nur, weil wir zwar zeitgleich um sechs Uhr abends nach Hause kamen, er aber im Gegensatz zu mir dann keine Hausaufgaben mehr machen musste.
Natürlich sind nicht alle Eltern gleich gestrickt – zur Orientierung im Folgenden eine kleine Kategorisierung:
Eislaufeltern
Auch «pushy parents» oder Tigereltern genannt. Sie organisieren den Alltag ihres Kindes komplett durch. Das beginnt morgens mit einem festen Zeitplan für die Badezimmernutzung, dann ist das Kind in der Schule, danach wird es abgeholt und hat auf der Autofahrt Zeit, schnell etwas zu essen. Zu Hause angekommen, geht es nämlich auch direkt schon wieder weiter zum Klavierunterricht, Ballett, Schauspielgruppe, Japanischkurs, Lesewettbewerb, Malereikurs, Yoga, Gymnastik, «Jugend forscht», Kinderuni und Eiskunstlauftraining. Das eigene Kind soll schließlich etwas ganz Besonderes werden und am besten reich, berühmt, ein neuer Star auf dem Eis genauso wie am Klavier und auf der Bühne und Retter der Menschheit sowieso.
Eislaufeltern zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf Elternabenden über weniger engagierte Schüler beschweren und behaupten, diese würden ihr Kind auf dem Weg zum Weltenretter behindern.
Kinder von Eislaufeltern sind entweder total füg- und strebsam oder rebellieren nach einiger Zeit. Denn wenn das Kind eine schlechtere Note als eine 1 mit nach Hause bringt, dann kommen Eislaufeltern nicht darauf, die diversen anderen Aktivitäten des Kindes könnten die Ursache dafür sein, weil sie ihm keine Zeit zum Lernen gelassen haben. Oder darauf, dass es schlicht und ergreifend unter zu großem Druck steht. Irgendwann lässt sich das kein Kind mehr gefallen und schmeißt die ganzen Sachen hin. Kein Klavier mehr, kein Weltstarstreben. Einfach nur selbstbestimmt und frei sein.
Eislaufeltern reagieren auf diese vernünftige Reaktion des Kindes mit immer dem gleichen Satz: «Aber wir haben dir doch alles
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