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Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt

Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt

Titel: Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. J. Lyons
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der geschlossenen Abteilung. Bei den Insassen.«
    Im Treppenhaus war niemand zu sehen, und jedes ihrer Geräusche wurde von den lauten Schmerzensschreien aus der Abteilung über ihnen geschluckt. Doch unter dem Geschrei hörte Caitlyn auch eine Melodie heraus. Irgendjemand sang vor sich hin. In einer Sprache, die Caitlyn noch nie zuvor gehört hatte, kein Spanisch, zumindest nicht, soweit sie das beurteilen konnte. Das wunderschöne Lied ging ihr unter die Haut.
    Sie waren am Treppenabsatz im zweiten Stock angekommen. Cho blieb vor einer massiven Eisentür stehen, der Eingangstür zur geschlossenen Abteilung. Sie reichte ihm den Schlüsselbund des Mannes mit der Narbe. Cho machte sich am Schloss zu schaffen, während sie Wache stand. Der melodiöse Singsang wurde lauter, nahm noch an Traurigkeit zu, je mehr Frauen mit einstimmten. Wie ein hypnotisches Klagelied hallte er durch die Treppe.
    »Also führt Carrera hier tatsächlich eine Nervenklinik?« Sie versuchte immer noch, Carreras Absichten herauszufinden. Wenn sie wusste, worauf es ein Verdächtiger abgesehen hatte, fiel es ihr normalerweise leichter, eine gewaltfreie Lösung zu finden, so wie neulich in Pennsylvania bei dem Vorfall mit dem kleinen Mädchen.
    »Vielleicht früher einmal«, sagte Cho. »So wie ich das sehe, ist er derjenige, der diese Frauen in den Wahnsinn treibt. Er raubt ihnen Stück für Stück den Körper und die Seele.«
    Mit schwitzigen Händen umklammerte Maria den chirurgischen Meißel. Ihr schlotterten die Knie, obwohl sie sich Mühe gab, in Kampfstellung zu verharren. Wäre sie tatsächlich in der Lage, jemanden umzubringen? Vielleicht würde es auch ausreichen, denjenigen bloß zu verwunden, abzulenken, damit sie flüchten konnte.
    Nein. Dann wäre derjenige immer noch in der Lage, sie zu verfolgen. Wenn ihre Gegner bewaffnet waren, würden sie Maria auch dann noch erwischen, selbst wenn sie einen Vorsprung gewann. Na gut. Sie würde also rausrennen und die Wachen hinter sich in der Zelle einsperren müssen.
    Und wie genau sollte sie diesen wundersamen vernichtenden Schlag ausführen? Ihr wurde ganz schlecht, sie schmeckte Galle auf der Zunge. Wem wollte sie etwas vormachen? Sie hatte keine Ahnung von solchen Dingen. Wie man jemanden umbrachte oder ein Held wurde, das lernte man nicht aus Büchern.
    Die Schritte kamen näher. Sie war versucht, zur Tür zu rennen und noch einmal in den Flur zu spähen. Aber was würde ihr das nützen? Nein. Sie musste bereit zum Angriff sein. Auch wenn sie vielleicht scheitern würde. Und umgebracht wurde. Aber es ging nicht mehr nur allein um ihr Leben. Wenn sie hier rauskam, könnte sie Kevin retten und Michael finden. Gemeinsam würden sie diesem Albtraum entkommen.
    Sie musste bloß stark sein. Stark genug, um ein Leben auszulöschen.
    War sie dem gewachsen?
    Ihr Vater wäre es. Er war früher bei der Armee gewesen. Was würde er an ihrer Stelle tun?
    Nach dem Schwachpunkt seines Gegners Ausschau halten – das tat er jedenfalls immer, wenn es ums Geschäft ging. Allerdings hatte sie schon oft das Gefühl gehabt, dass diese Taktik mehr als nur eine Geschäftsphilosophie war, so wie seine Augen funkelten, wenn er davon sprach. Er wirkte dann leicht entrückt, als ob er an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit wäre.
    Maria ging es manchmal ganz ähnlich, wenn sie ein gutes Buch las, das sie in seinen Bann schlug. Sie schloss die Augen, kniff sie fest zusammen. Ach, wäre das hier doch bloß eine aufregende Erzählung, oder, besser noch, ein übler Traum … Sie öffnete die Augen. Dieselbe eingedellte verkratzte Metalltür mit diesem gruseligen blutigen Handabdruck daneben. Dieselbe leere Zelle. Und auch sie selbst war immer noch dieselbe.
    Die Schritte waren bei ihrer Zelle angekommen. Maria stand mit dem Rücken zur Wand neben der Tür, um die Wachen zu überraschen. So konnte sie zwar nicht durch den Sichtschlitz schauen, hörte jedoch, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Sie wollte schlucken, doch ihre Kehle war wie ausgedörrt. Die Hand, die den Meißel umklammert hielt, verkrampfte, also wechselte sie rasch zur anderen Seite, rieb sich die feuchte Handfläche an der Jacke ab und machte sich erneut bereit.
    Das Schloss klickte laut. Sie konzentrierte sich auf den Bereich direkt vor der Tür. Ein Schwall frischer Luft drang in die Zelle. Sie presste sich noch enger an die Wand, versteckte den Meißel an der Seite, damit wer auch immer da gleich vor ihr stand, ihn nicht gleich

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