Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
andere Menschen zu ihrem eigenen Vorteil benutzte.
Da er schon jahrelang nicht mehr für die Steuerbehörde arbeitete, hatte er ganz vergessen, wie kompliziert es war, dort ein Strafverfahren einzuleiten. Damit überhaupt nur ein einleitendes Ermittlungsverfahren bewilligt wurde, musste ein Fall durch drei Chefetagen wandern, dann erst durfte der zuständige Ermittler weitermachen.
Dadurch sollte eine bessere Kontrolle gewährleistet werden. Tatsächlich scheiterte jedoch die Aufklärung vieler Fälle an diesen hohen bürokratischen Hürden, weil die Übeltäter diese lange Vorlaufzeit nutzten, um ihre Spuren zu verwischen und sich aus dem Staub zu machen.
»Großartig. Wo steckt er?«
»Warte noch. Ich brauche erst eine Garantie, dass wir auch diejenigen sind, die die Festnahme durchführen, falls du irgendetwas finden solltest. Wir werden auch die gesamte Pressearbeit übernehmen.« Schon klar, so wollte sie die vielgepriesene »höchste Verurteilungsrate unter sämtlichen Strafverfolgungsbehörden«, die der Behörde für Steuerfahndung zugesprochen wurde, aufrechterhalten. Eine Verurteilung war auch nicht besonders schwer, wenn man sich überhaupt nur mit wasserfesten Fällen abgab.
»Und wenn wir nichts finden?«, fragte er.
»Dann hatte ich nie etwas mit dieser Angelegenheit zu tun.« Sie war also bereit, den armen Kerl zu opfern, der die Sache angezettelt hatte, um sich selbst vor eventuellen politischen Verwicklungen zu schützen. »Und du wärst nur ein weiterer FBI -Agent, der auf eigene Faust ermittelt, sich heillos übernommen und dabei einen weiteren Fall des Büros in den Sand gesetzt hat.«
Autsch. »So schätzt du mich also ein?«
Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln und schüttelte den Kopf, ohne dass sich auch nur eine Haarsträhne dabei gerührt hätte. »Jake, hast du das denn immer noch nicht begriffen? Es geht nicht darum, wer was wie einschätzt. Nur die Wirkung in der Öffentlichkeit zählt.«
»Und das findest du in Ordnung?«
»Selbstverständlich.« Sie winkte nun einem Mann zu, der am Tresen gesessen hatte und sich jetzt zu ihnen gesellte. »Tyrese Shapiro, darf ich vorstellen, das ist Jake Carver.«
Shapiro war ungefähr eins siebzig, von hellbrauner Hautfarbe und hatte die Statur eines Wrestlers.
Lynn rückte von der Sitzbank und griff nach ihrer Tasche. »Also, Jungs, vertragt euch! Und haltet mich auf dem Laufenden.«
Damit verabschiedete sie sich. Jake atmete auf und merkte erst jetzt, wie angespannt er die ganze Zeit gewesen war. Er hatte wirklich gedacht, sie könne ihm nichts mehr anhaben, doch zehn Minuten mit Lynn weckten in ihm sofort den Wunsch, erneut für zehn Monate als verdeckter Ermittler abzutauchen.
Shapiro glitt auf den Sitz, den Lynn soeben freigemacht hatte und legte eine abgetragene Aktentasche auf den Tisch. »Sie und die Schneekönigin als Paar. Wie war das so?«
Jake lachte glucksend. »In etwa so, wie zu erwarten. Hey, jeder kann mal einen Fehler machen.«
»Nun, was auch immer, ich bin jedenfalls froh, von der Bürgerberatung weg zu sein. Die Strafverfolgung ist mir lieber. Hoffentlich bleibt es dabei, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»An mir soll’s nicht scheitern. Im Gegenteil, wir werden prima miteinander auskommen, solange Sie auf das übliche Taktieren zwischen den Behörden verzichten. Mich interessiert lediglich alles, was uns weiterhilft, ein verschwundenes Mädchen aufzuspüren.«
»Verschwundenes Mädchen? Ich dachte, es geht um BioRegen.«
Jake klärte ihn über Marias Verschwinden und das merkwürdige Verhalten ihrer Eltern auf. »Erzählen Sie mir von dieser Beschwerde, die Sie über BioRegen erhalten haben.«
»Wohl eher Beschwerden. Dreizehn waren es insgesamt, als ich zuletzt nachgezählt habe. In jeder nur erdenklichen Abteilung eingegangen. Als bekannt wurde, dass mich der Fall interessiert, bekam ich sie alle zugeschickt.«
»Tatsächlich? Und trotzdem ließ sich nichts finden?«
»Nein. Ethisch sind die Vorgänge zwar fragwürdig, dennoch ist alles legal.«
»Warum gehen wir das nicht alles gemeinsam durch?«
Shapiro schaute auf seine Uhr. »Wie wäre es, wenn ich es Ihnen stattdessen einfach demonstriere. Wir könnten es gerade noch rechtzeitig schaffen.«
»Rechtzeitig, wozu?«
»Zu einer Beerdigung.«
14
Shapiro fuhr einen Prius. Bei dem chaotischen Verkehr in D. C . war das eine kluge Wahl, wenngleich Jake das Freiheitsgefühl und die Wendigkeit seines Motorrads vorzog. Sie überquerten den Fluss und
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