Wenn der Wetterhahn kräht
Roland spielte den Unschuldsengel. Ich hätte das
kleine Monster am liebsten ordentlich vertrimmt. Tut mir heute noch leid, daß
ich es nicht getan habe.«
»Was ist später aus dem kleinen Racker
geworden?« fragte Peter. »Vorausgesetzt natürlich, daß er überhaupt erwachsen
geworden ist?«
»Leider ist er das. Er wurde auf eine
Militärakademie geschickt. Roland hatte schon immer von einem Leben als Söldner
geträumt, während sein Vater hoffte, daß ein bißchen militärischer Drill ihn
disziplinieren würde.«
»Hat es funktioniert?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.
Roland war genauso stur wie dumm. Aber er konnte hervorragend reden. Er konnte
sich lang und breit über alles auslassen und jeden dazu bringen, ihm zu
glauben, auch wenn er den reinsten Schwachsinn verzapfte. Bei einem unserer
Gerichtstermine hat er sogar versucht, den Richter zu überreden, ihn zum Verwalter
von Großvaters Vermögen zu machen. Aber die Dokumente, die er vorlegte,
stellten sich als gefälscht heraus, woraufhin er es schaffte, das Gericht davon
zu überzeugen, daß er das Opfer eines gemeinen Komplotts geworden sei.«
»Ungemein sympathischer Mensch«,
knurrte Peter. »Haben Sie eine Ahnung, wo er sich momentan aufhalten könnte?«
»Nicht die leiseste«, sagte Miss Binks.
»Rolands Eltern leben immer noch in West Clavaton, soweit ich weiß. Seit dem
Debakel im Gericht hatten wir allerdings keinen Kontakt mehr miteinander. Sie
vertraten die Ansicht, daß ich die Dokumente gefälscht hätte, um Roland um
seine Ansprüche zu bringen, was natürlich vollkommen absurd war. Seine Eltern
sind nur entfernte Cousins, von denen Großvater nie etwas wissen wollte. Falls ich
wirklich vorgehabt hätte, jemanden zu hintergehen, hätte ich mir dafür bestimmt
den richtigen Ast unseres Familienstammbaums gesucht, aber natürlich waren die
Childes nicht gewillt zuzugeben, daß sie viel zu unwichtig waren, um überhaupt
unter die Hackordnung zu fallen. Du liebe Zeit, jetzt sind die Metaphern aber
wirklich mit mir durchgegangen. Falls Sie möchten, können Sie auch gern etwas
Nachtisch zu sich nehmen. Teegebäck aus Taglilienpollen mit Konfitüre aus
wilden Erdbeeren.«
»Klingt köstlich«, erwiderte Peter
galant. Womit er recht behalten sollte. Nach einer letzten Runde Sassafras-Tee
waren sie mehr als gesättigt.
»Und jetzt«, meinte ihre Gastgeberin,
»schlage ich vor, daß wir uns alle aufs Ohr legen. Man kann nie wissen, was der
nächste Tag bringt, aber was es auch sein mag, es läßt sich bestimmt besser
bewältigen, wenn man vorher gut geschlafen hat. Womit wir zu einer weiteren
interessanten Frage kommen. Wo bringe ich Sie am besten unter? Ich glaube, wir
nehmen diese Zweige hier und breiten sie auf dem Boden aus, dann haben Sie
beide genug Platz. Glücklicherweise bin ich ein klein wenig sybaritisch, was
Bettzeug betrifft, daher gibt es davon mehr als genug.«
Während sie sprach, begann sie bereits
mit den Vorbereitungen. »Eine Decke legen wir über die Zweige, mit der anderen
können Sie sich zudecken. Am wichtigsten ist, daß die Kälte vom Boden nicht
hochziehen kann. Obwohl es draußen wahrscheinlich noch ziemlich warm ist,
bleibt meine Höhle nämlich immer angenehm kühl, wissen Sie. Zumindest empfinde
ich diesen Umstand als angenehm. Wir können das Feuer anlassen, wenn Sie
möchten.«
»Aber wo schlafen Sie, Miss Binks?«
protestierte Cronkite. »Wir wollen Sie auf keinen Fall aus Ihrem eigenen Bett
vertreiben.«
»Das werden Sie auch nicht, keine
Sorge. Ich habe doch noch die Hirschfelle. Ein paar als Unterlage, zwei zum
Zudecken, et voilä! Ich habe schon bedeutend unbequemer geschlafen, bevor ich
mich hier häuslich niedergelassen habe. Wer möchte als erster ins Badezimmer?«
Beide Gäste bestanden darauf, Miss
Binks den Vortritt zu lassen, wogegen sie nichts einzuwenden hatte. Als Peter
und Cronkite schließlich reif für die Fichtennadeln waren, schlief ihre
Gastgeberin schon längst tief und fest, wobei ein zufriedenes Lächeln ihren
Mund umspielte.
Ihr eigenes Nachtlager hätte bedeutend
schlimmer ausfallen können. Was unweigerlich der Fall gewesen wäre, wenn sie
zufällig einen anderen Baum bestiegen hätten, dachte Peter. Er fragte sich, ob
wohl vor jedem Notausgang der Binkschen Höhle ein Bluthund Wache stand, nahm
jedoch schließlich von dieser Vorstellung Abstand. Miss Binks war eine schlaue
Füchsin, man konnte also sicher sein, daß die Vorkehrungen, die sie gegen
Jagdhunde getroffen hatte,
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