Wenn die Liebe erwacht
hin und her gerissen. Rolfe folgte ihr nach Crewel und führte sie sofort in ihr Zimmer. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, doch er schloß sie nur ein. Später erfuhr sie dann, daß er sich an jenem Abend bewußtlos getrunken hatte.
Am nächsten Tag ließ er sie wieder frei, aber nichts hatte sich geändert. Er wollte ihr nicht zuhören, wenn sie versuchte, ihm zu erklären, was es mit dem Treffen mit Alain auf sich gehabt hatte. Er nahm es nicht zur Kenntnis, wenn sie sagte, es hätte nie zur Diskussion gestanden, daß sie mit Alain fortgehen könnte. Er wollte ihr weder zuhören noch mit ihr sprechen. Die Dienstboten gingen ihr aus Furcht vor seinem Zorn aus dem Weg.
Das Schlimmste war, daß Wilda und Mary fortgeschickt wurden und Leonie allein zurückblieb. Es gab niemanden mehr, mit dem sie reden konnte.
Wenn Rolfe erst wieder die Burg verließ, würde die Anspannung auf ein erträgliches Maß zurückgehen, sagte sie sich. Aber er schloß sich der Belagerung von Warling nicht mehr an. Er verließ nicht einmal die Burg, um auf die Jagd zu gehen. Er blieb in Leonies Nähe und hielt sich ihr doch fern, als traute er sich selbst nicht, wenn er ihr zu nahe kam, und doch konnte er sie nicht allein lassen.
Sie wußte genau, was er glaubte. Er rechnete damit, daß sie fliehen würde, und blieb, um sich zu vergewissern, daß sie es nicht tat. Als sie an dem Tag, an dem Rolfe sie in ihrem Zimmer eingesperrt hatte, die beiden Nachrichten von Alain zerknittert auf dem Fußboden liegen sah, war ihr klar geworden, wie Rolfe sie gefunden und welche Schlußfolgerungen er daraus gezogen hatte. Sie wußte, wie sehr die Situation, die er auf der Lichtung vorgefunden hatte, gegen sie sprach, aber sie hatte keine Möglichkeit, die Dinge richtigzustellen, wenn er ihr nicht zuhören wollte.
Er war nicht einmal bereit, mit ihr in einem Bett zu schlafen, sondern schlief auf einem Strohsack im Vorzimmer und lag wie ein Wächter vor ihrer Tür.
Sie wußte, daß sie das nicht mehr lange aushielt. In ihrer Hoffnungslosigkeit und Wut riß Leonie die Tür auf, die sie von ihrem Mann trennte. Seine Augen waren offen. Er starrte die Decke an und tat so, als sei sie gar nicht da, und das gab ihr den Rest. Sie sah sich im Vorzimmer nach etwas um, was sie nach ihm werfen konnte.
»Tu das nicht, Leonie.« Seine Stimme war leise und drohend.
»Warum nicht?« fragte sie erbost. »Dann könntest du mich schlagen, und das wäre zumindest erledigt.«
»Dich schlagen?« Rolfe setzte sich auf seinem Strohsack auf. »Ich habe einen Mann dafür getötet, daß er genau das getan hat, und du wagst es, zu glauben, ich …«
»Was?«
»Calveley ist durch meine Hand gestorben«, teilte er ihr tonlos mit. »Ich konnte ihn nach dem, was er dir angetan hat, nicht weiterleben lassen.«
Leonie war wie benommen. »Woher wußtest du das? Ich habe dir nie gesagt …«
»Diese letzte Woche, in der ich fort war, habe ich mit deinem Vater verbracht. Ich habe ihn soweit ausgenüchtert, daß er meine Herausforderung zum Duell annimmt.« Da ihre Augen Panik widerspiegelten, sagte er gereizt: »Ich habe deinen Vater nicht getötet, Frau. Er war nicht der Schurke, für den ich ihn gehalten habe. Er hat sich von seiner Frau zu einem Trunkenbold machen lassen. Er war schwach, und ist wohl kaum schuldlos, aber er hat nicht angeordnet, daß du geschlagen wirst, Leonie. Er wußte überhaupt nichts, nicht einmal, daß du in all diesen Jahren in Pershwick warst.« Rolfes Stimme klang etwas freundlicher.
»Wie … wie kann es sein, daß er es nicht wußte?« flüsterte Leonie verwirrt, und Rolfe erklärte ihr alles von Anfang an.
»Im Moment zerfleischen ihn Gewissensbisse, weil er dich so schmählich im Stich gelassen hat«, beendete er seine Erklärungen.
Sie fühlte sich ganz elend. Warum hatte sie kein einziges Mal versucht, gewaltsam zu ihm vorzudringen? Sie hätte sich selbst und ihrem Vater soviel Leid ersparen und die Wahrheit eher erfahren können.
»Ich werde ihn sofort aufsuchen!«
»Nein!«
»Nein?« schrie sie. »Wie kannst du mir das verbieten?«
»Gib dem Mann eine Chance, seine Selbstachtung wiederzuerlangen, Leonie«, sagte Rolfe heftig. »Er wird zu dir kommen, wenn er soweit ist. Du kannst ganz sicher sein, daß er das tun wird.«
Sie sah ihn böse an und fühlte Tränen in ihren Augen brennen. »Tarne dein Verbot nicht mit edelmütigen Regungen! Du sagst nein, um mich hier gefangenzuhalten. Warum streitest du das ab?«
»Verdammt noch mal!«
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