Wenn Die Nacht Beginnt
dich verhalten hast, kann man sich alles Mögliche denken.«
»Das machen die Leute sowieso.« Bohannon geht zur Tür hinaus und schaut zu, wie Gerard über die Veranda zu seinem braunen Streifenwagen geht. Er ruft ihm nach: »Hast du da oben die Kugel gefunden? Es war ein glatter Durchschuss.«
»Noch nicht«, ruft Gerard, »aber wir werden sie finden. Mach dir keine Hoffnungen.« Er lässt den Motor an, knallt die Tür zu und fährt weg.
Bohannon kann es nicht verstehen. Er geht aus seinem Schlafzimmer und den Flur entlang in die Küche, immer dem Duft von Schinken und Kaffee nach. Die Haare nass von der Dusche, steht er barfuß in Jeans und T-Shirt da, und blinzelt im Licht der Lampe. Es ist noch nicht hell. Die alte Schulzimmeruhr an der Küchenwand zeigt zehn nach fünf. Und neben dem riesigen Herd aus Nickel und Porzellan steht T. Hodges, die schlanke, dunkle junge Stellvertreterin des Sheriffs, die Bohannons beste Freundin ist. Sie schlägt Eier in eine Porzellanschüssel mit indianischen Mustern und wirft ihm ein Lächeln zu. »Guten Morgen.«
»Ich sag's ja! Was ist der Anlass?«
»Der Lieutenant hat mir gesagt, dass Kelly gegangen ist«, erklärt sie. Ein Krug Orangensaft steht auf der Anrichte. Sie schenkt ihm ein Glas ein und hält es ihm hin. Er schleppt sich zu ihr und nimmt es. »Dass du hier versuchst, alles allein zu machen – die Arbeit von Stubbs, Rivera und deine eigene.«
Bohannon nickt und trinkt etwas Orangensaft. »Stimmt, aber …«
»Also hab ich mir gedacht, ich könnte dir wenigstens Frühstück machen«, meint sie.
»Das ist sehr nett von dir. Ist aber ziemlich früh für dich.« Er stellt das Saftglas auf den Tisch und geht zum Herd, nimmt den alten, blau gefleckten Emailletopf vom hinteren Brenner und gießt sich einen Becher Kaffee ein. »Soll ich für dich auch was einschenken?«
»Noch nicht, danke. Setz dich und trink erst mal.« Sie dreht und wendet eine Eisenpfanne im Licht, um sie zu prüfen, findet sie annehmbar sauber, stellt sie auf den Herd und schneidet Butter hinein. »Es gibt Neuigkeiten. Der Name des toten Mannes lautet Lubowitz, Cedric. Ein Börsenmakler. Alter: fünfundsechzig. Seit kurzem verwitwet.«
Bohannon zündet sich eine Zigarette an und blinzelt sie durch das Licht der Tischlampe an. »Wie haben sie das alles rausgekriegt?«
»Sein Bild war in den Nachrichten«, sagt T. Hodges. »Anscheinend ist er hier und da in der ›Woche der Wall Street‹ aufgetaucht.«
»In deiner Abteilung schaut niemand ›Woche der Wall Street‹ an?«
Sie lacht. »Stell dir das mal vor«, erwidert sie.
»Und was machte er im Rodd Canyon? Was wollte er überhaupt in dieser Gegend? Hier gibt es nur Rinder, keine Aktien.«
»Und er handelte ohnehin nicht mit Waren«, fügt T. Hodges hinzu.
Der Kaffee ist heiß und stark. Er gibt Sahne hinein. »Und Belcher. Kannte Belcher ihn?«
»Belcher schaut sich noch viel weniger ›Die Woche der Wall Street‹ an als Gerard.« Sie bringt einen Teller mit Schinken, Eiern und gerösteten Kartoffeln und stellt ihn vor Bohannon. »Hau rein.«
»Und was ist mir dir?«, fragt er.
»Meines ist gleich fertig«, erklärt sie. Eine Minute später sitzt sie ihm gegenüber. Jetzt steht auch ein Stapel Toast auf dem Tisch. Sie legt sich eine Baumwollserviette auf den Schoß, nimmt ihre Gabel und sieht ihn an – sehr ernst. »Hack, du kannst nicht zulassen, dass Gerard das Steve Belcher antut. Er ist das sanfteste, traurigste Geschöpf der Welt, aber alle sind bereit, das Schlimmste zu glauben, das weißt du.«
Bohannon häuft Guaven-Gelee auf eine Toastscheibe. »Das tut Belcher auch. Ich kann nichts dagegen tun. Er wäre besser dran, wenn er nicht einfach …«
»Er hat diesen Mann nicht umgebracht«, stößt T. Hodges hervor.
»Das glaube ich auch nicht«, sagt Bohannon. »Aber ich bin nicht das Gericht.«
»Du meinst, du lässt das einfach so geschehen? Du lehnst dich einfach zurück und …«
»Teresa«, sagt Bohannon sanft. »Du hast mir bereits gesagt, dass ich versuche, hier die Arbeit von dreien zu machen. Ich lebe davon. Ich kann nicht mehr Detektiv spielen, selbst wenn ich die Energie dazu hätte, aber ich habe keine Zeit dafür.«
»Ich mache die Laufarbeit für dich«, bietet sie ihm an. »Du sagst mir einfach, was getan werden muss, und ich tu es, Kelly. Gerard sagt, du glaubst, Kelly könnte es getan haben. Ich finde ihn und bringe ihn her.«
»Du hast einen Job, Liebes«, gibt Bohannon zu bedenken. »Acht Stunden
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