Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
Vom Netzwerk:
von der Stelle.
    Seth seufzte gereizt. Dann stieß er das Mädchen mit einer einzigen Bewegung grob zur Seite, sodass sie gegen die Wand taumelte und dort strauchelnd zu Boden ging.
    »Charlotte!«, schrie Aylin. Ihre Stimme überschlug sich vor Angst. Aber Seth kümmerte sich nicht darum. Hauptsache, die beiden Gänse ließen ihn endlich in Ruhe. Hastig trat er den letzten Schritt an das Bett heran und beugte sich tief über Nele, bis er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte.
    »Nele!« Er legte eine Hand an ihre Wange und klopfte leicht darauf. »Sternenkind, wach auf!«
    Aber Nele reagierte nicht. Nicht einmal ihre Lider zuckten. Seth spürte einen Druck in seiner Brust wachsen, wie eine Blase, die sich immer weiter mit heißem Gas aufblähte und ihn von innen zu sprengen drohte. Er vergrub seine Finger in Neles Haar und griff zu, so fest, dass er fühlte, wie sich ein ganzes Büschel aus ihrer Kopfhaut löste.
    »Wach. Auf! JETZT !«
    Aber er wusste, es war zwecklos. Er konnte es spüren.
    Nele war leer. Wie auch immer sie es angestellt hatte, sie war an den Ort gegangen, an den Seth sie von Anfang an hatte bringen wollen – und an den er ihr jetzt, in seinem Menschenkörper, nicht mehr folgen konnte. Am liebsten hätte er seinen Frust laut herausgebrüllt. Das durfte sie nicht! Er war jetzt hier, und sie hatte bei ihm zu sein! Nur mit großer Mühe kämpfte er gegen das Bedürfnis an, die gesamte Einrichtung des Zimmers zu zertrümmern.
    Stattdessen packte er Neles schlaffen Körper, zerrte ihn von der schlafenden Svea fort, die sich nun leise stöhnend regte, und hob ihn auf seine Arme. Mit glühenden Augen warf er einen warnenden Blick zu Charlotte und Aylin, die noch immer auf dem Boden hockten. Sollten sie ruhig versuchen, ihm in die Quere zu kommen! Aber die beiden gaben keinen Mucks mehr von sich.
    Seth drückte Nele fest an die Brust und schwang sich erneut auf die Fensterbank. Er musste sein Sternenkind irgendwo hinbringen, wo er Ruhe hatte. Und dann würde er schon einen Weg finden, sie zurück in diese Welt zu zwingen. Was sie auch vorhatte, um Jari wieder zurückzubringen – Seth würde es nicht zulassen. Nele gehörte ihm, und er würde mit ihr in einer Welt ohne Nachtglas leben. Er würde nichts anderes akzeptieren, unter keinen Umständen.
    Und damit sprang er hinunter in den Garten und ließ Neles geschockte Freundinnen mit ihrer Angst allein.
    Hinter dem Spiegel tobte ein Sturm. Ein Windstoß, so heftig, dass Nele glaubte, von den Füßen gerissen zu werden, schlug ihr ins Gesicht und zerrte an ihren Haaren. Blätter, Zweige und Grashalme wirbelten durch die Luft, und blaue Blitze zuckten den Himmel hinauf, hin zu einem riesigen Loch, das unaufhaltsam die Welt in sich hineinzusaugen schien.
    Nele klammerte sich an den Arm der Katzenfrau, die ihr aus dem Spiegel geholfen hatte, und starrte zu dem bizarren Schauspiel hinauf. Es war beängstigend anzusehen, wie der ganze Himmel, das ganze Nachtglas in Bewegung geraten war. Bilder und schemenhafte Gestalten wirbelten umeinander, und immer wieder brachen in der Ferne ganze Stücke der Landschaft aus dem Boden und wurden emporgerissen, um in dem gewaltigen Strudel aus silberblauem Licht zu verschwinden, der sich um das Loch gebildet hatte.
    »Komm!«, brüllte Tora gegen das Jaulen des Windes an und zog energisch an Neles Arm. »Wir dürfen nicht hier draußen bleiben!«
    Nele zwang sich, ihren Blick von dem zerstörten Nachtglas zu lösen und sah wieder zum Baum, der kaum fünfzig Schritte entfernt war, aber doch unendlich weit weg schien. Die Krone war bereits fast kahl, etliche Äste und sogar Stücke der Rinde fehlten. Ewig würde auch dieser Riese dem Sturm nicht mehr standhalten können.
    In diesem Moment erschien vor Neles Augen eine Tür im Stamm, die kurz darauf mit einem Krachen aufschlug. Und auf der Schwelle erschien Jari, bleich, dünn und zerzaust, aber ansonsten unversehrt.
    »Nele!«, schrie er. Nele konnte seine Stimme kaum hören, aber sie sah, wie seine Lippen ihren Namen formten. Tränen drückten plötzlich hinter ihren Lidern. Jari. Endlich.
    Sie bemerkte kaum die Anstrengung, die in ihren Beinen brannte, als sie sich gemeinsam mit Tora das letzte Stück vorankämpfte. Mehr als einmal holte der Sturm sie beinahe von den Füßen, Staub trieb ihr in die Augen und machte sie fast blind. Aber es war egal, alles egal. Für diesen Augenblick hatte sie alles gegeben, alles gewagt. Für die eine Sekunde, als sie sich von Jari

Weitere Kostenlose Bücher