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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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über die Schwelle ins Innere des Baumes ziehen ließ.
    Hinter ihnen zwang Tora die Tür zurück ins Schloss. Das Brüllen des Sturms sank zu einem gedämpften Heulen herab. Wärme umhüllte Nele, und sie spürte schmale Arme, die sie fest an eine knochige Brust drückten.
    »Nele«, sagte Jari immer wieder. »Nele. Du bist hier. Du bist es wirklich!«
    Nele konnte nur stumm nicken. Ihr Mund war trocken, ihre Augen brannten und tränten, und sie konnte nicht sagen, ob das von der Erleichterung kam, oder von dem Schmutz, der sich nun klebrig und klumpig in ihren Augenwinkeln sammelte. Aber sie hatte auch keine Zeit darüber nachzudenken. Denn nun umfasste Jari ihr Kinn und hob es an, um seine Lippen auf ihre zu drücken, so fest, dass es fast schmerzhaft war. Nele spürte, wie neben ihrem Piercing ihre Unterlippe aufsprang und eine Blutspur über ihr Kinn rann. Jaris Haut war rau und trocken und unnatürlich heiß, fiebrig fast. Und trotzdem wusste Nele, sie würde in ihrem Leben nie wieder so geküsst werden. So atemlos, ohne auch nur ein einziges Zögern oder schüchternes Zucken.
    Leider dauerte der Moment viel zu kurz. Tora ließ ihnen kaum die Zeit, sich voneinander zu lösen, da räusperte sie sich auch schon vernehmlich, wie um daran zu erinnern, dass sie auch später noch genügend Gelegenheit haben würden, ihr Wiedersehen zu feiern– oder eben auch nicht, wenn sie sich jetzt nicht beeilten.
    »Habt ihr euch genug erholt? Wir sollten so bald wie möglich aufbrechen, ehe hier alles in Trümmern liegt.«
    Aufbrechen. Schon wieder. So schnell.
    Nele wechselte einen Blick mit Jari. Zu gern hätte sie sich so vieles von ihm erzählen lassen. Was er erlebt hatte, wie es ihm ergangen war, und wie es kam, dass Tora bei ihm war. Allein der Anblick des urgemütlichen Wohnzimmers, in dem sie gerade standen, und das Nele jetzt erst richtig wahrnahm, weckte ihre Neugier– einmal davon abgesehen, dass die kuscheligen Sofas nach der anstrengenden Reise gefährlich verlockend aussahen. Hatte Jari das alles selbst erschaffen? Und was wohl noch? Aber ein kurzer Blick aus den Fenstern in das Chaos, das noch immer draußen tobte, überzeugte Nele auch ohne Worte, dass das nicht nur warten konnte, sondern sogar warten musste.
    »Tora will uns ihrer Göttin vorstellen«, erklärte Jari jetzt. Sein Blick wirkte beinahe schuldbewusst. »Tut mir leid, du musst noch völlig fertig sein.«
    Nele rang sich ein Lächeln ab. Das war sie tatsächlich. Aber es half ja nichts. Hier konnten sie ganz bestimmt nicht bleiben.
    »Gehen wir denn nicht nach Hause?«, fragte sie.
    Jari öffnete den Mund, um zu antworten. Aber Tora kam ihm zuvor.
    »So einfach ist das nicht.« Ihre Miene war grimmig. »Zwar sollte es für eine Klarträumerin wie dich selbst von hier aus nicht zu schwer sein, einen Durchgang zurück in eine eurer Traumkammern zu erschaffen und Jari mitzunehmen. Aber hast du etwa gedacht, wenn du ihn einfach zurückbringst, ist alles geregelt? Dann hast du deine Rechnung aber ohne Seth gemacht. Oder glaubst du wirklich, er wird den Körper des Jungen freiwillig aufgeben, ehe er sein Ziel erreicht hat?«
    Die Ernüchterung traf Nele wie ein Schlag. Seth. Natürlich, er musste ja aus Jaris Körper heraus. Und sie musste zugeben, dass Tora recht hatte. Sie hatte wirklich gedacht, das würde automatisch geschehen, sobald Jari zurückkehrte. Und selbst wenn nicht, wenn Seth sich wirklich wehrte, hätte Nele nicht geglaubt, er könne in so einem Kampf eine Chance haben. Schließlich war es doch Jaris Körper! Aus Toras Mund klang es allerdings so, als wäre ein Sieg des Katers der weitaus wahrscheinlichere Ausgang.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. »Wir gehen erst mal zu Fae– also zu Toras Göttin«, sagte Jari. Obwohl seine Stimme nicht so sicher klang, wie er es vermutlich gehofft hatte, beruhigte sie Nele ein wenig. »Sie hat Seth die Fähigkeit verliehen, meinen Körper zu übernehmen. Also kann sie mir auch die Kraft geben, ihn mir zurückzuholen. Aber weder sie noch Tora können mich von einem Traumrevier in ein anderes bringen. Das kannst nur du.«
    Die letzten Worte, stellte Nele fest, schwankten ein wenig. Und erst jetzt, wo sie Jari noch einmal genauer musterte, fiel ihr auf, dass der Eindruck aus dem Video sie nicht getäuscht hatte. Auf den zweiten Blick wirkten seine Konturen tatsächlich ein bisschen unscharf. Und Nele fiel wieder ein, was Tora gesagt hatte. Er wurde zu einem Traum, wenn er noch länger hierblieb.

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