Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
blutigen Striemen ihrer Krallen brannten noch auf seiner Haut. Und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit konnte er die Handlungen seiner Göttin nicht voraussagen.
Als ihre schmalen Finger grob sein Kinn umschlossen, wütender und schmerzhafter noch als vor zwei Nächten, war er selbst überrascht, dass er zusammenzuckte.
»Ich sollte dir deinen Wächterstatus ebenfalls nehmen«, zischte Fae.
Seth schaffte es im letzten Augenblick, sich nicht unter ihrem Griff zu winden. Nicht seine Würde aufzugeben, indem er sich ihrer Berührung entzog, obwohl ihn alle Instinkte dazu drängten. Stattdessen verengte er die Lider zu schmalen Schlitzen. »Es war nicht mein Revier.«
»Aber deine Schuld.« Faes farblose Augen glitzerten kalt. »Ist dir klar, was du getan hast?«
Mühsam hielt Seth seinen Atem ruhig, ertrug die brennende Berührung weitere endlose Sekunden.
»Fae.« Er senkte die Stimme zu einem Schnurren und lächelte, obwohl Faes Fingernägel sich tief in die Haut über seinem Kiefer gruben. »Es tut mir leid.«
Fae fletschte spitze Zähne und fauchte. »Ich habe dich gewarnt, Seth! Letzte Nacht noch habe ich dir erklärt, wie gefährlich die Anwesenheit einer Klarträumerin für das Nachtglas ist. Ich habe dir gesagt, du sollst besonders wachsam sein! Und du hast nichts Besseres zu tun, als dich mit dem ersten Weibchen zu vergnügen, das dir über den Weg läuft!« Sie verengte die Augen zu wütend funkelnden Schlitzen. »Ich dulde das nicht mehr, Seth! Du wirst diesen Fehler in Ordnung bringen. Und ich schwöre dir, beim nächsten Mal kastriere ich dich!«
Nun konnte Seth ein unwilliges Grollen nicht mehr unterdrücken. Er bog den Kopf zurück und wand sich aus Faes Griff. Wenn es um seine Männlichkeit ging, war er empfindlich. Genug war genug, selbst von einer Göttin.
»Warum hast du Cassi denn nicht nach dem Träumer suchen lassen?« Er sah verächtlich auf das Kätzchen, das inzwischen friedlich in Faes Armen schnurrte. »Sie hätte mich so oder so nicht mehr interessiert.«
Faes warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Dann ließ sie ihn los, wandte sich ab und setzte Cassiopeia zwischen die Kissen ihres Throns, wo sie sich sofort wohlig zusammenrollte. Auf seinem Platz. Seth unterdrückte ein Knurren.
Faes Stimme aber klang überraschend ruhig, als sie weitersprach. »Sie hätte es nicht gekonnt.« Sorge erstickte den brennenden Ärger in ihren Augen, als sie Seth wieder ansah. Nur leise schwelende Wut blieb zurück. »Keiner von uns kann diesem Jungen helfen, in die Menschenwelt zurückzufinden. Weil du zugelassen hast, dass er sich in der zweiten Ebene verirrt.«
Nun war Seth wirklich überrascht. Die zweite Ebene. Die Welt jenseits der Träume, auch »Die Unendlichkeit« genannt. Kein Träumer drang jemals so weit vor. Er hatte es nicht einmal mit voller Absicht geschafft, Nele dorthin zu entführen ! Und jetzt sollte sich ein gewöhnlicher Mensch einfach so hinein verirrt haben? Das war nicht normal. Normal wäre gewesen, dass der Junge aus seiner eigenen Traumkammer nicht mehr herausfand und deshalb nicht mehr aufwachte – schließlich war es das, worüber die Katzen wachten. Und bis jetzt war Seth der Ansicht gewesen, dass genau das in der letzten Nacht geschehen war. Ein Irrtum, wie es schien. Es klang unglaublich, aber nach Faes Gesichtsausdruck zu urteilen, war es das keineswegs.
»Wir haben keine Möglichkeit, ihn dort herauszuholen. Wir Katzen können uns zwar frei auf allen Traumebenen bewegen. Aber jemanden über die Grenzen mitnehmen, das können wir nicht.« Fae starrte ihn eindringlich an. »Verstehst du das, du dummer Kater? Ich habe dich gewarnt, aber deine leichtfertige Unachtsamkeit hat alles aus dem Gleichgewicht gebracht. Und wenn wir nicht schnell etwas unternehmen, um ihn wieder auf die richtige Seite zu bringen, wird das Nachtglas brechen! Die Träume und die Realität werden ineinanderstürzen!«
Sie trat noch einen Schritt auf ihn zu, bis Seth ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Instinktiv bog er den Oberkörper noch ein Stück weiter zurück. »Nun übertreibst du aber. Wir brauchen doch nur zu warten, bis er selbst zu einem Traum wird. Dann löst sich das Problem von ganz allein.«
»Nein!« Fae fletschte die Zähne und zischte wütend. »Was sonst dort drüben zu Träumen wird, sind Fragmente! Es war noch nie ein ganzer Mensch, ein vollständiger Geist in der Unendlichkeit!«
Seth unterdrückte einen Seufzer. Warum nur musste Fae jedes noch so kleine
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