Hand nach oben in ihr Zimmer, in der leisen Hoffnung, dass Seth vielleicht schon wieder aufgetaucht wäre. Sie hatte die Balkontür nicht verriegelt, nur für den Fall, dass er leichtsinnig genug war, am hellen Tag dort hinaufzuklettern.
Aber ihr Zimmer war leer. Natürlich. Nele ließ sich mit einem Seufzer auf ihren Schreibtischstuhl sinken, biss frustriert in ihr Brot und schaltete den Laptop ein. Vielleicht hatte ja wenigstens Lilly geschrieben. Ihr Telefonat schien Nele auch schon wieder eine Ewigkeit her zu sein. Der Gedanke drückte ihr unangenehm auf den Brustkorb und machte sie traurig. Es war eben doch gar nicht so einfach, Kontakt zu halten, bei der Entfernung… Als sie das Mailprogramm öffnete und dort tatsächlich eine Nachricht ihrer besten Freundin auf sie wartete, kamen ihr vor Freude fast die Tränen.
Von:
[email protected]
An: [email protected]
Betreff: Lebenszeichen?!
Hallo, Schnuckelmausehasi!
Wie geht es dir? Lebst du noch? Ich nur so halb, ehrlich gesagt. Tut mir schrecklich leid, dass ich mich nicht früher wieder gemeldet habe. Ich bin zurzeit nur noch am Büffeln, Tests und Klausuren und so, du weißt ja. Kommt wie immer alles auf einmal. Und eine fette Erkältung habe ich mir obendrauf auch eingefangen! E-kel-haft, sag ich dir!
Na ja, genug gejammert. Wie ist es da draußen in der großen weiten Welt? Was ist mit deinen Träumen, und mit diesem Seth? Hast du mit deiner Mama darüber gesprochen? Wahrscheinlich nicht, wie ich dich kenne. Du musst unbedingt auf dich aufpassen, hörst du? Meld dich mal!
Alles Liebliche und tausend Küsse,
Lilly
Nele schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Vor lauter Heimweh hatte sie plötzlich das Gefühl, keinen einzigen Bissen mehr herunterzubekommen. Fast angewidert legte sie die Reste ihres Brots zur Seite. Dann las sie Lillys Mail noch einmal und noch einmal. Sie fühlte sich beinahe, als könnte sie die Stimme ihrer Freundin hören. Lilly machte sich große Sorgen, so viel war sicher. Dabei wusste sie nicht einmal, was wirklich los war. Sie musste es ihr erzählen, dachte Nele. Sie hatte Lilly doch immer alles erzählt! Entschlossen klickte sie auf »Antworten«.
Von: [email protected]
An: [email protected]
Betreff: Bin noch da!
Hallo, Lilly,
du glaubst gar nicht, wie froh ich über deine Mail bin! Hier ist auch einiges los. Absolut irre, sage ich dir – du wirst es nicht glauben. Dieser Seth, von dem ich dir erzählt habe, der …
Nele zuckte heftig zusammen, als es in diesem Augenblick an der Balkontür klopfte. Das konnte nur einer sein! Endlich. Sie musste schnellstens mit ihm über die Katzen reden und über Sveas Traum.
Hastig klappte sie den Laptop zu und stand auf. Die Mail musste wohl oder übel warten. Außerdem sollte Seth auf keinen Fall sehen, dass sie über ihn schrieb. Nele war sich nicht sicher, warum sie das dachte. Aber etwas sagte ihr, dass es ihm überhaupt nicht gefallen würde.
Sie war kaum auf den Füßen, da öffnete sich die Tür bereits, und Seth schob sich hinter dem Blümchenvorhang hervor. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht.
»Hi, Nele.«
Es war, dachte Nele, auch heute kein bisschen weniger befremdlich, Jaris Körper diese Bewegungen machen zu sehen, die nicht zu ihm passten, und diesen Blick in seinen Augen, der Nele schon durch und durch gegangen war, als sie Seth noch für einen Traum gehalten hatte. Es war faszinierend und unheimlich zugleich.
»Hi. Wir müssen reden.«
Seth runzelte die Stirn und sein Lächeln verblasste. »So schroff heute?« Er ließ sich aufs Bett fallen, streckte sich lang darauf aus und gähnte ausgiebig. »Na los, komm her. Mach’s dir bequem.«
Nele schüttelte entschieden den Kopf und setzte sich wieder auf ihren Schreibtischstuhl. »Nein. Ich sitze lieber hier. Ich muss dir etwas erzählen, und ich hoffe, du kannst es mir erklären.«
Seth seufzte leise. »Sicher. Frag, was du willst.« Er unterdrückte ein weiteres Gähnen. »Aber entspann dich ein bisschen, in Ordnung? Das war immerhin ein langer Tag.«
Nele hob eine Braue. So gesehen hätte sie tatsächlich gern gewusst, was Seth heute getrieben hatte, dass ihm der Tag so lang erschienen war. Was tat so ein Kater in Menschengestalt, wenn er auf sich gestellt durch die Gegend streifte? »Jetzt wo du’s sagst– wo warst du eigentlich die ganze Zeit?«
Seth winkte ab. »Hier und da… nicht der Rede wert.« Er musterte Nele ein