Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
sich die beiden hielten. Was mochten sie in der Hütte durchgemacht haben? Doch Mitleid nützte ihnen im Moment nichts. Samara sprang auf und lief weiter voraus, wobei sie sich immer wieder umwandte, um zu sehen, ob die beiden noch hinter ihr waren.
Ungefähr eine Meile von der Hütte entfernt blieb Samara stehen. Um sie herum war es vollkommen still geworden. Alle Nachtkreaturen, die Grillen, Frösche und Eulen waren verstummt. Warum? Eben noch hatten sie munter gezirpt, gequakt und gekreischt.
»Was ist? Warum …«
Samara hob eine Hand, damit die Mädchen still waren. Etwas stimmte nicht. Ihr Gefühl sagte ihr, dass jemand hier draußen war und sie beobachtete. Sie dachte an Noahs und Edens Worte, die sie ermahnt hatten, stets auf ihren Instinkt zu hören. Hatten Mitchell und seine Männer sie gefunden?
Nichts regte sich. Kein Laut. Selbst wenn sie beobachtet wurden, mussten sie weiterrennen. Und sollte nur eines der Mädchen es schaffen, wäre das schon besser als nichts. Mit diesem Gedanken zwang sie sich weiter vorwärts.
Sie machte zwei Schritte, da trat Mitchell hinter einem Baum hervor.
»Sieh an, sieh an. Wie es aussieht, habe ich ein paar Flüchtige entdeckt.«
Die Finger zu Krallen gebogen, stürzte Samara sich geradewegs auf Mitchell und schrie: »Lauft!«
10
Mit dem Fuß kickte Mitchell die Tür auf und warf Samara in die Hütte, aus der sie erst vor Kurzem entkommen war. Sie landete mit einem dumpfen Knall auf dem Boden, wo sie japsend und fluchend liegen blieb, weil ihr alles wehtat. Trotzdem triumphierte sie im Geiste. Die Mädchen hatten weglaufen können, denn Mitchell war allein gewesen, und Samaras Ablenkung verschaffte den beiden genau den Vorsprung, den sie brauchten. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass sie Hilfe fanden und Samaras Mühe nicht vergebens gewesen war.
Mitchell stand in der Tür und brüllte: »Richard, hierher, sofort!«
Vom Tag zuvor wusste sie noch, dass Richard der größere, bulligere ihrer Entführer war … und vermutlich auch der weniger intelligente.
Schwere Stiefel näherten sich polternd. »Ja, Boss?« Der Riese klang scheu und ängstlich. Samara konnte nicht umhin, ein wenig froh zu sein, weil einer von denen sich genauso fühlte wie sie.
»Du solltest auf sie aufpassen. Was war los?«
Samara hob den Kopf und erschrak, als sie sah, wie Richard Tränen in die Augen traten. Er war nicht bloß eingeschüchtert, nein, er hatte schreckliche Angst.
»Ich war bloß Kaffee holen.«
»In Tupelo?«, donnerte Mitchell.
»Nein … ich … äh … sie war weggetreten, und ich …«
Mitchell packte Samaras Arm und riss sie nach oben. »Die Schlampe wiegt ein Drittel von dir und hat dreimal so viel Grips!«
»Tut mir leid, Boss. Ich pass in Zukunft besser auf.«
»Ja, das wirst du sicher.«
Verwundert ob Mitchells sanftem, beinahe tröstlichem Tonfall, blickte Samara zu den beiden Männern auf. Vielleicht steckte ja doch ein Funken Menschlichkeit in Mitchell. Andererseits sahen sie beide kein bisschen friedlich aus. Richard zitterte am ganzen Leib, und bei Mitchells eisiger Miene lief Samara ein kalter Schauer über den Rücken.
Samara mit sich ziehend, knurrte Mitchell: »Komm.«
Er stieß sie nach draußen auf die Veranda und die Stufen hinunter. Inzwischen schien der Mond hell über ihnen und beleuchtete den kleinen, grasbewachsenen Bereich. Mehrere Männer standen dort, von denen keiner Mitchell direkt ansah. Richard, der sich halb vor seinem Boss hielt, blickte so verängstigt drein, dass Samara beinahe Mitleid mit ihm bekam – aber nur beinahe.
»Alle hören mir zu«, dröhnte Mitchell. »Wir haben zwei flüchtige Mädchen, die findet ihr. Und ich will sie lebend. Falls ihr sie ein bisschen grob anpacken müsst, werde ich darüber hinwegsehen. Aber es wird nicht an der Ware genascht, verstanden?«
Alle, einschließlich Richard, nickten, rührten sich jedoch nicht vom Fleck, als erwarteten sie weitere Instruktionen.
»Brady, du organisierst die Suche. Nimm alle bis auf Vince und Stephen mit.«
»Soll ich hierbleiben, Boss?«
Mitchell wandte sich lächelnd zu Richard. Dann, so beiläufig, wie andere sich irgendwo kratzten, zog er eine Waffe aus seiner Tasche und feuerte Richard ins Gesicht. Blut, Knochensplitter und Hirnmasse sprühten auf alles im Umkreis von gut anderthalb Metern.
Entsetzt starrte Samara auf den Mann am Boden, der nur zwei Schritte neben ihr lag. Sie fühlte die Feuchtigkeit auf ihrer Haut, und als sie an dem Hemd hinabsah, das
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