Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
ihn nicht vom eigentlichen Ziel ablenken.
Noah zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Du hattest sie zuerst.«
»Ja, hatte ich, und vergiss das nicht. Ich gewinne immer.«
Noah betrachtete seinen Bruder. Steckte hinter der Bemerkung mehr als die Suffprahlerei eines geistesgestörten Soziopathen? Hatte er einen Verdacht? Nein, das musste Noah sich einbilden. Ihm war niemand gefolgt … Keiner hatte gesehen, wo er Samara ablegte, und sicher nicht, wie sie abgeholt wurde.
Er war müde, erschöpft von seiner Sorge um Samara, und konnte es nicht abwarten, dass diese Operation endlich vorbei war. Das musste es sein. Falls sein Bruder auch nur den leisesten Verdacht hätte, wäre Noah inzwischen tot.
»Wie du meinst, Mitch. Du bist der Boss.« Noah drehte sich um und wollte in seine Hütte zurück.
Hinter ihm kicherte Mitch. »Da hast du verdammt recht.«
Warmes Wasser aus dem Duschstrahl lief Samara über den Kopf. Noahs Blut, vermengt mit ihren Tränen, verschwand im Abfluss, während sie von leisen Schluchzern geschüttelt wurde. Sie atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Noah war ein Profi. Er hatte sein Leben bereits unzählige Male aufs Spiel gesetzt und würde es auch künftig tun. Diese Operation unterschied sich nicht von anderen. Ihm passierte schon nichts, daran musste sie fest glauben.
Sie verzog das Gesicht, als sie beim Waschen gegen einen besonders üblen Bluterguss an ihrem Oberschenkel kam. Bisher hatte sie noch nicht in den Spiegel gesehen. Noahs Blut, das in ihrem Haar und an ihrer Kleidung klebte, war kein Bild, das sie in ihrem Kopf speichern wollte. Die Schnitte und Hämatome, die sie allein beim Hinabschauen an sich entdeckte, waren ihr hinreichend Warnung, dass es nicht angenehm wäre.
Ihre physischen Verletzungen würden heilen. Ihr Herz jedoch … das bezweifelte sie.
Das Wasser wurde kühler, sodass sie aus der Dusche steigen musste. Sie wickelte sich ein Handtuch um das tropfnasse Haar. Dankbarkeit überkam sie beim Anblick all der Cremes und sonstigen Kosmetika, die Eden ihr hingestellt hatte, nebst einem dampfenden Becher Pfefferminztee und einem Teller Kekse.
Nur eine Frau würde verstehen, wie wichtig die ganzen femininen Sachen waren, mit denen sie ihren Körper verwöhnte. Samara schraubte den Deckel von einer köstlich duftenden Lotion ab und cremte sich damit von oben bis unten ein. Was sie stets für selbstverständlich gehalten hatte, fühlte sich nun wie purer Luxus an.
Nicht in den Spiegel zu sehen war schwierig gewesen. Aber nun war die Zeit gekommen. Samara atmete tief durch, blickte auf und starrte die geschundene Frau an.
Ein gigantischer blauer Fleck bedeckte ihre linke Stirn hälfte, ein zweiter ihren Wangenknochen. An der rechten Schläfe war ein hässlicher, aufgeplatzter Striemen. Mitchells Gürtel. Ihre Lippen waren rissig und trocken, aber bis auf die zahlreichen Verfärbungen wich das Spiegelbild nicht von dem ab, das sie kannte. Ausgenommen ihre Augen. In ihnen entdeckte sie etwas, das vorher nicht dort gewesen war. Sie hatte Böses gesehen und Dinge durchgemacht, die sie niemandem wünschte. Und sie hatte überlebt.
Ein mattes Lächeln trat auf ihre Lippen, als sie es sich im Geiste wiederholte. Ich habe überlebt.
Mit diesem Gedanken ließ Samara den Blick über den Rest ihres Körpers wandern. Er war übersät von Blau-, Grün- und Braunschattierungen. Zwischen den Blutergüssen waren kleine Schnitte von dem Messer, mit dem man ihr die Kleider vom Leib geschnitten hatte, sowie Schürfungen von den vielen Malen, die sie auf den Boden geworfen worden war. Sie drehte sich um. Rücken, Po und Schenkel hatten beim Auspeitschen mit Mitchells Gürtel das meiste abbekommen. Wahrscheinlich würde es Wochen dauern, bis sie wieder halbwegs normal aussah. Aber wichtig war, dass alles verheilen würde.
Auf einmal fühlte sie sich ungeheuer schwach und erschöpft. Statt sich das Haar zu föhnen, rubbelte sie es nur kurz mit dem Handtuch trocken. Gutes Aussehen stand auf der Liste ihrer Prioritäten momentan ohnehin nicht ganz oben, also beließ sie es bei den feuchten Kringellocken. Gähnend schlüpfte sie in einen Baumwollpyjama, den Eden ihr gegeben hatte, und kroch in das weiche, sau bere Bett. Die Lampe auf dem Nachttisch brannte, und Samara konnte sich nicht dazu durchringen, das Licht zu löschen. Hier war sie sicher. Jordan und Eden waren unten, und zusätzlich hielten noch drei andere Agenten Wache. Niemand würde es schaffen, ins Haus einzudringen und sie
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