Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
mir sein. Das Telefon zu benutzen, war auch eine schlechte Idee, denn in dem Dorf konnte es schon vierzig Minuten dauern, bis die Polizei vor Ort war. Wenn er wenige Minuten, nachdem ich die Polizei alarmiert hatte, nach Hause kam, hätte er also genug Zeit, um mich zu bestrafen. Und er würde sicherlich die Gelegenheit nutzen, mich zu töten, ehe er festgenommen wurde.
Mit Worten lässt sich schwer beschreiben, wie ich mich an diesem Abend fühlte. Die Angst und Verzweiflung, die mich erfüllten, lassen sich vielleicht am ehesten mit den Empfindungen vergleichen, die jemand hat, der auf seine Hinrichtung wartet. Mein ganzes Leben lief in Gedanken wie ein Film vor mir ab. Ich sah meine Eltern vor mir, meine Freunde und auch das kleine Mädchen, das ich einst gewesen war und das einfach nur beachtet und geliebt werden wollte.
Mati kam an diesem Abend nicht nach Hause. Doch als ich morgens aufwachte, lag er auf dem Sofa wie ein Gefängnisaufseher vor der Zelle des Delinquenten. Es war Sonntag, der Vortag meines Geburtstags. Plötzlich klingelte das Telefon, und mein Herz raste. Ich lief in den Flur, um abzuheben, ehe das Geräusch ihn wecken würde. Ich weinte fast vor Glück, als ich Melanies Stimme hörte. Mithilfe unserer Geheimsprache gab ich ihr zu verstehen, dass sie so schnell wie möglich kommen und möglichst noch Verstärkung mitbringen solle. Mit leiser Stimme bat ich sie, sich irgendetwas auszudenken, um mich aus der Wohnung zu befreien.
Eine halbe Stunde später tauchten Melanie und ihr Freund Hannes auf. Mati war inzwischen wach geworden. An seinem Gesichtsausdruck hatte sich seit dem vorigen Tag nichts geändert. Mit entschiedener Stimme sagte Melanie zu ihm, dass sie auf dem Weg zum Gottesdienst in Mamas Kirche seien und mich gern mitnehmen wollten. Mati grummelte etwas davon, dass David auf jeden Fall zu Hause bleibe.
Melanie sah, dass ich in Panik geriet, und sagte ebenso entschlossen, dass sie das für keine gute Idee halte. Mati hätte dann doch nur unnötige Arbeit, und David brauche schließlich mittags etwas zu essen. Mati murmelte etwas, was niemand verstand und warf mir einen mörderischen Blick zu und brummte, dass ich in meinem eigenen Interesse um Punkt eins wieder da sein solle. Ich schnappte mir ein weißes Shirt mit schwarzem Kragen sowie eine schwarze Hose. Dann beeilte ich mich, David in seinen Wagen zu setzen, ehe Mati es sich anders überlegte. Eng aneinandergedrückt eilten wir vier zum Parkplatz. Am liebsten wäre ich gelaufen, doch wenn er auf dem Balkon stand, hätte er vielleicht Verdacht geschöpft. Meine Kehle war wie zugeschnürt, die Zeit schien stillzustehen. Ich warf einen raschen Blick über die Schulter, um ganz sicherzugehen, dass er uns nicht verfolgte. Ich versuchte mir einzureden, dass ich bald in Sicherheit sein würde. Morgen war mein Geburtstag!
Achtes Kapitel
Eine leichte Brise, die den Geruch nach frisch gemähtem Gras und blühenden Geranien mit sich führte, spielte mit meinem Haar. Auf dem Weg zum Parkplatz schaute ich mich um und sah, dass das Leben seinen üblichen Gang ging. Ein geschäftiger Papa reparierte das Fahrrad seines Sohnes, das offenbar einen Platten hatte. Ein grauhaariger Mann beugte sich schwitzend über die Anhängerkupplung seines Audis, um mit Geduld und Spucke seinen schönen Wohnwagen schließlich auf das eigene Grundstück zu manövrieren, jetzt, da der Sommer zur Neige ging. Ich beneidete die Menschen um ihr Dasein. Ihr Leben tickte tagaus, tagein in einem ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus, wie eine alte Standuhr. Wenn sie nur wüssten, wie gut sie es hatten. Gleich würden die beiden Männer zu ihren liebevollen Frauen ins Haus gehen, sich ein wenig Sport im Fernsehen anschauen und später ein schönes Abendessen mit einem Glas Rotwein auf dem Balkon genießen.
Ich selbst nahm auf dem Rücksitz von Melanie und Hannes rotem Golf Platz. Mit Mühe und Not hatten wir Davids Kinderwagen im Kofferraum verstaut und die Heckklappe geschlossen. Ich wurde von den verschiedensten Gefühlen erfüllt. Zum einen fühlte ich mich wie ein kleines Kind, das Angst hat, dass man ihm die Bonbontüte wieder wegnimmt. Zum anderen fürchtete ich immer noch, dass Mati plötzlich Verdacht schöpfte und hinter uns her stürzte. Doch in all meinem Elend spürte ich auch den Anflug eines euphorischen Freiheitsgefühls. Fast hätte ich mich in den Arm gekniffen und allen da draußen zugerufen, dass ich von nun an ein neues Leben beginnen würde. Doch
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