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Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)

Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)

Titel: Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
Autoren: Marita R. Naumann
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und Ohren verschließen? In den Zeitungen kann man täglich von schweren Körperverletzungen und kaltblütigen Morden lesen, doch nur wenige stellen sich als Zeugen zu Verfügung. Wovor haben wir eigentlich Angst? Wir haben Angst vor unserem eigenen Rechtssystem, wir trauen ihm einfach nicht. Hätte man mir Hilfe und Schutz angeboten, wäre ich vielleicht mutiger gewesen. Doch ich war feige!
    Diese Nacht in dem einfachen Zimmer der Pension werde ich nie vergessen. Nie zuvor war ich von solch einem euphorischen Freiheitsgefühl erfüllt worden. Ich krabbelte unter die Decke, kuschelte mich eng an David und weinte mich in den Schlaf. Doch waren es Tränen des Glücks und der Erleichterung.
    Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte ich mir nicht vorstellen können. In wenigen Stunden würde der Morgen grauen und ich einundzwanzig Jahre alt sein.
    Wenn ich heute niedergeschlagen bin oder irgendwelche Probleme habe, brauche ich nur an diese Nacht zu denken, um mir vor Augen zu führen, wie wenig man im Alltag das teuerste Gut zu schätzen weiß, das man hat - seine persönliche Freiheit.
    Ruckartig fuhr ich aus dem Schlaf und hatte keine Ahnung, wie spät es war. Im Zimmer war es stockdunkel, und für einen kurzen Moment wusste ich nicht, wo ich mich befand. Zunächst dachte ich, ich hätte geträumt, und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Allmählich ergriff wieder die Angst von mir Besitz, wickelte sich um mich wie ein Python und nahm mir die Luft zum Atmen. Ich fragte mich, was in den letzten Stunden vorgefallen war, was Mati in seiner Wut angestellt hatte und wie es meiner Mutter ging. Ich machte David ein belegtes Brot, weil ich mich noch nicht in den Frühstücksraum wagte. Es war nicht ausgeschlossen, dass Mati mir an der Rezeption auflauern würde. Ich stellte mir vor, dass er meine Liebsten gezwungen hatte, meinen Aufenthaltsort zu verraten, und jetzt hier war, um mich und David gewaltsam in unsere Wohnung zurückzubringen. Erschrocken fragte ich mich, ob mir nicht vielleicht jemand auf dem Parkplatz auflauerte, ob die Frau an der Rezeption mich nicht verraten hatte, ob ich wirklich meine Zimmertür aufschließen sollte.
    Ich nahm mich zusammen, duschte kalt und versuchte mit einem Reinigungstuch die Flecken an Davids Kleidern zu entfernen. Ich traute mich nicht, zu Hause anzurufen, doch nach einer Weile rief ich Melanie an, um mich zu erkundigen, wie ihre Nacht gewesen war. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und wählte die Nummer meiner Mutter. Ich wurde sofort ruhiger, als ich die Stimme meiner Mutter hörte.
    Sie berichtete von dem Terror, dem sie ausgesetzt gewesen waren, von Matis Toben und seinen Versuchen, die Tür einzutreten. Ich spürte, dass sie sich alle Mühe gab, mich nicht zusätzlich zu beunruhigen. Schließlich kam aber doch heraus, dass sie und Gabriel an diesem morgen früh zur Kirche gefahren waren und dass sie plötzlich, während sie noch ein paar Kopien für den Bibelkreis machte, von einem großen Unbehagen befallen worden war. Als sie aufblickte, hatte Mati in der Türöffnung gestanden. Er trug dieselbe Kleidung wie am vorigen Tag, war bleich und verschwitzt. Seine Lippen waren rissig und von getrocknetem Speichel umgeben, die Augen schwarz, die Kiefermuskeln angespannt, die Fäuste geballt, und die Luft im Zimmer war so schwer, dass man kaum atmen konnte.
    „Du verdammtes Miststück, das ist alles deine Schuld!“, fauchte er.
    „Ich will meinen Sohn wiederhaben!“
    „Jetzt beruhige dich erst mal, Mati, antwortete sie, und hätte sie ihr Worte nicht so sorgsam bedacht, dann wäre meine Mutter heute vielleicht nicht mehr am Leben. „Es wird sich schon alles regeln. Komm erst mal zu dir. Luisa will dir nichts Böses. Wir wollen alle versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen. Wir gehen jetzt zu Gabriel hinauf und reden wie erwachsene Leute darüber. Es wird alles gut werden, du wirst sehen, mein Lieber.“
    Doch Mati zischte: „Das wird euch Fotzen noch leidtun!“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand.
    Inzwischen hatte Mama noch einmal mit der Frauenberatungsstelle gesprochen. Dort war man entschlossen, mir zu helfen. Sie wollten mich von meiner Pension abholen und zu einer geheimen Wohnung bringen, die irgendwo zwischen Solln und Fürstenfeldbruck lag.
    Als das Auto kam, stiegen Melanie und Hannes aus und überreichten mir eine Tüte, in der sich Unterwäsche, eine Jogginghose, Kleider für David und ein langärmliger Sweater für mich befanden,
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