Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
weißes Hemd und eine Krawatte kaufen. Die Haare konnte ich mir streng nach hinten kämmen. Ich ging zu H&M, wo es Nadelstreifenanzüge in Größe 34 gab.
Als ich ein Exemplar anprobierte, hatte ich fast das Gefühl, dem Hersteller wäre ein Fehler unterlaufen. Ich war es gar nicht mehr gewohnt, Kleidung zu tragen, die nicht schlaff an mir herunterhing. Mit ausgepolstertem BH und ordentlich geschminkt würde ich richtig cool aussehen.
Als ich schließlich meine H&M-Tüte in der Hand hielt, hatte ich plötzlich ein flaues Gefühl im Bauch. Was machten meine Freunde wohl gerade? Wo würden sie Silvester feiern? Ich hatte in letzter Zeit nur wenige Briefe bekommen. Vielleicht befand sich noch ein ganzer Stapel bei Mona oder meinem Anwalt. Briefe, die in all dem Weihnachtstrubel liegen geblieben waren. Sollte ich - oder sollte ich nicht? Ein kurzer Anruf würde genügen. Ich wollte so gern Melanies Stimme hören. Ich brauchte ja nicht zu verraten, wo ich jetzt wohnte. Ich kratzte mein Kleingeld zusammen, nahm meine Tüte und ging in Richtung der nächsten Telefonzelle. Ich ließ es so lange läuten, dass ich fast die Hoffnung aufgegeben hätte.
„Melanie?“
Ich wäre vor Freude fast in die Luft gesprungen.
„Ich bin's, Luisa.“
„Hallo ... wie geht's dir? Ich hab dich so vermisst.“
„Und ich dich erst! Ich wollte unbedingt deine Stimme hören. Ich hab mich so einsam gefühlt.“
„Ich weiß, dass du mir nicht sagen kannst, wo du jetzt bist“, entgegnete Melanie, „aber geht es dir gut? Was macht David?“
„Uns beiden geht es ganz gut. Das Leben normalisiert sich langsam wieder. Aber die Ungewissheit ist immer noch da ...“
„Ja, das kann ich mir denken. Hier ist es jetzt längere Zeit ziemlich ruhig gewesen. Man vergisst fast, vorsichtig zu sein. Mit den anderen Mädels habe ich keinen Kontakt mehr. Alle haben mit sich zu tun. Übrigens, Hannes und ich wollen nächstes Jahr heiraten.“
„Ach, ich freu mich so für euch!“, sagte ich. „Mit Hannes hast du bestimmt einen guten Fang gemacht, aber die Verbindung wird gleich unterbrochen, Melanie. Ich hab kein Geld mehr. Ich melde mich bald wieder, versprochen! Feier schön und komm gut ins neue Jahr! Es kann nur besser werden als das Alte. Grüß Hannes und die Mädels, falls du sie siehst. Sag ihnen, dass ich immer an euch denke.“
Am Silvesterabend stand ich um Punkt zwölf in der eisigen Kälte. Das Feuerwerk erleuchtete den sternklaren Himmel. Die Menschen um mich herum umarmten sich und prosteten sich lachend zu.
Ich zog mir die Jacke enger um die Schultern, lächelte in die Runde und nahm einen Schluck des sprudelnden Champagners. Prost Neujahr, dachte ich im Stillen. Hiermit lasse ich das vergangene Jahr endgültig hinter mir. Was wird das neue Jahr bringen? Wo werde ich mich in 365 Tagen befinden?
Sechzehntes Kapitel
Das Neue Jahr begann ziemlich ereignislos. Ein Tag glich dem andern. Wir standen auf, erledigten unsere Morgentoilette, frühstückten, unternahmen einen Spaziergang, aßen zu Mittag, malten mit Fingerfarben und tranken manchmal Kaffee mit Rebecca und Norbert. Angelika war fantastisch. David liebte sie, und wenn sie in der Nähe war, kam sie oft vorbei, um ihn abzuholen. Aus Spaß sagte sie dann: „Welches Kind will schon den ganzen Tag mit seiner Mama zusammen sein!“ Und im Grunde hatte sie recht. David war sehr gern mit seiner Ersatzoma zusammen, und ich genoss die Zeit, die ich für mich allein hatte.
Sandra aus Berlin hatte ausgepackt und Mati und seiner Gang stand ein neuer Prozess bevor. Er lautete auf Mord in mehreren Fällen. Aufgrund der Morddrohungen gegen mich hatte man entschieden, dass es zu gefährlich für mich wäre, nach München zu fahren und im Gerichtssaal anwesend zu sein. Ich sollte bei der Polizei in Garching meine Aussagen machen, wenn ich noch etwas dazu zu sagen hatte. Aber ich wusste nichts. Ich wusste nicht, was Mati in seiner Abwesenheit gemacht hatte. Er war gekommen und gegangen, wie er wollte und ich hatte nie gefragt, wohin er ging.
Am Tag der Gerichtsverhandlung wartete ich darauf, dass Johannes mich abholte. Angelika war am Morgen schon da gewesen und hatte David mitgenommen. Da es bereits ziemlich spät war, schaute ich nervös auf die Uhr. Als ich gerade Johannes Telefonnummer tippte, klingelte es an der Tür.
„Hier ist Johannes!“, rief er an der Tür.
„Ich komme!“, rief ich zurück.
Ich löschte das Licht, legte mir die Jacke über den Arm und folgte ihm zum
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