Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
Notfallsender griffbereit zu haben, mich mit größter Vorsicht in Richtung Tür zu bewegen, aufmerksam zu lauschen, vorsichtig durch den Spion zu schauen und mit verstellter Stimme zu fragen, wer da sei. Dass mein neuer Nachbar Norbert die Geduld aufbrachte, so lange zu warten, war ohnehin ein Wunder.
Er war mit einer Flasche Wein vorbeigekommen, um sich vorzustellen und mich willkommen zu heißen. Er erzählte sogleich, dass seine Frau und er in einem italienischen Restaurant arbeiteten. Er als Koch und sie als Bedienung. Nach einer Arbeitswoche hätten sie immer eine Woche frei. Wenn ich irgendwelche Hilfe bräuchte, solle ich einfach Bescheid sagen, und wenn mir Gesellschaft fehle, müsse ich unbedingt rüberkommen.
Norbert lachte und scherzte in einer Tour, war also mit anderen Worten ganz anders als der reservierte Durchschnittsdeutsche. Da ich selbst eher schüchtern und zurückhaltend bin, hätte ich mir keine besseren Nachbarn wünschen können. Sie waren das absolute Gegenteil von mir, und das würde es mir erleichtern, Bekanntschaft mit ihnen zu schließen.
Norbert war mittelgroß und blond. Rebecca dagegen groß gewachsen, üppig und hatte rabenschwarze Haare. Sie war solariumgebräunt und nicht auf den Mund gefallen.
Unsere neuen Nachbarn brachten frischen Wind in unser Leben, und als David am nächsten Morgen aufwachte, wollte er sofort zu ihnen, um sich ihre Wohnung anzuschauen.
Er war zutiefst fasziniert von ihren knallgelben, leuchtend blauen und quietschgrünen Wänden, vor denen neonfarbene Möbel standen. Man bekam augenblicklich gute Laune von dieser knallbunten Mischung. Sie brachte im wahrsten Sinne des Wortes Farbe in den grauen Alltag. Sie besaßen auch ein Haustier - eine große, silbergraue Katze, die irgendwo in der Wohnung herumtrieb.
David und ich lebten in unserer eigenen kleinen Welt. Wir fuhren Schlitten hinter dem Haus, veranstalteten Schneeballschlachten und kochten jeden Tag unsere Lieblingsgerichte. Wenn wir zwei Tage hintereinander Lust auf Pfannkuchen hatten, dann aßen wir eben zwei Mal Pfannkuchen nacheinander. Wenn ich keine Lust hatte, das Bett zu machen, ließ ich es eben bleiben. Obwohl wir erst seit gut zwei Wochen in unserer neuen Wohnung lebten, kam es mir bereits wie eine Ewigkeit vor - und jetzt waren es nur noch wenige Tage bis Weihnachten.
Angelika hatte David am Morgen abgeholt, um letzte Einkäufe zu erledigen. Draußen tobte ein regelrechter Schneesturm. Der Wind heulte und trieb die Flocken gegen die Scheiben. Obwohl es noch nicht sehr spät war, vermittelte einem der niedrige, graue Himmel eine Stimmung wie am Abend. Ich lag auf dem Bett und döste vor mich hin. Ich hatte mich auf der Liste im Waschkeller eingetragen, um unsere besten Kleider rechtzeitig vor Weihnachten zu waschen. Die gesamte Wohnung sollte im Topzustand sein, wenn wir abends von Angelika nach Hause kämen. Es ist wohl nur schwer zu verstehen, dass für mich schon ein kurzer Besuch des Waschkellers der reinste Horror war. Ich schaltete zu diesem Zweck all meine Alarmgeräte ein. Wenn ich die Sperre der beiden kleinen roten Dosen, die ich am Körper trug, entriegelte, gaben sie einen ohrenbetäubenden Heulton von sich. Sobald ich den langen, dunklen Kellergang betrat, mich zwischen den nackten Betonwänden befand und die Eisentüren hinter mir schloss, fühlte ich eine Mischung aus Panik und Todesangst in mir aufsteigen.
Beim kleinsten Geräusch zuckte ich zusammen. Unwillkürlich drehte ich immer wieder den Kopf, um mich zu vergewissern, dass niemand hinter mir stand, der mich erwürgen wollte. Ich war jederzeit bereit, an allen Schnüren zu ziehen und alle Alarmknöpfe zu drücken.
Ich spielte auch mit dem Gedanken, mir einen Wachhund anzuschaffen. Johannes hatte sich erkundigt, welche Rassen am ehesten infrage kämen, doch der Gedanke, einen abgerichteten Schäferhund in meiner Wohnung zu haben, schreckte mich eher ab. Denn schließlich konnte man nie wissen, wie solch ein Tier gegenüber einem kleinen Kind reagierte. Während meines letzten Besuchs auf dem Sozialamt hatte ich mich erkundigt, ob ich einen Wachhund beantragen könne. Die Gegenwart eines Wachhunds würde mich beruhigen, sagte ich. Ich hob die Möglichkeit hervor, gemeinsam mit dem Hund und Johannes ein Training bei der Polizei zu absolvieren. Ich hoffte, die Mitarbeiterin würde verstehen, dass sogar die Polizei einer solchen Maßnahme positiv gegenüberstand. Aber mein Vorschlag wurde abgelehnt - natürlich!
Ich war
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