Wenn die Wahrheit nicht ruht
Sebastian die Erfahrung nicht nur auf die Arbeit als Bardame bezog, konnte Leonie nicht wissen.
„Ja, das habe ich.“
„Hervorragend. D ann nimm doch einfach die erste Bestellung auf , und wenn du etwas nicht weiss t, fragst du. Okay?“
„Kein Problem.“ Womit Leonie sich bereits an den ersten Kunden wandte. Sebastian stellte fest, dass er sich ihr noch nicht einmal vorgestellt hatte. Aber das konnte warten. Er beobachtete , wie sie sich die Bestellung mehrerer unterschiedlicher Getränke anhörte und ohne zu zöger n Drink für Drink zu bereitete, als hätte sie niemals woanders gearbeitet. Beruhigt machte sich auch Sebastian wieder an die Arbeit. Zwischendurch warf er immer wieder ein Auge auf Leonie. So auch, als er sich daran machte, ein Bier zu zapfen. Sie wiederum war gerade dabei , eine Wodkaflasche von einem der oberen Regale zu holen. Dabei musste sie sich soweit strecken, dass ihr schwarzes T-Shirt hoch rutschte und den Blick auf einen Streifen Haut unterhalb ihres Bauchnabels freigab. Sebastian liess nur kurz seine Augen über den schlanken Körper wandern, doch es reichte, um festzustellen, dass diese Leonie, genau wie alle ihre Vorgängerinnen, exakt in Saschas Beuteschema passte. „Typisch. Ich hätte wissen müssen, dass er niemals vernünftig wird.“
1986
Den neu a ngebrochenen Morgen ausnu tzend, war Marc bereits seit einigen Stunden auf und hatte es nicht lassen können einige Unterlagen, die er aus dem Büro mitgenommen hatte, durchzugehen , während seine Frau und sein Kind noch schliefen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es Zeit war, die Dokumente schleunigst verschwinden zu lassen, ansonsten Verena ihn auf frischer Tat ertappen würde. Darauf würde so sicher wie das Amen in der Kirche ein Wutausbruch folgen, der dann in ganztätiges Schmollen überginge, womit der erste richtige Urlaubstag bereits ruiniert wäre. Noch einmal warf er einen nachdenklichen Blick auf die Notiz , die er seit geraumer Zeit in Händen hielt. Er hatte die Nachricht bestimmt schon tausende Male gelesen. Trotzdem überflog er in Gedanken das unordentliche Gekritzel noch einmal. ‚Anrufer unbekannt, Bücher Hannigalpbahn, umhören!’ Dann schob er das Papier unter das Sofa. Keine Sekunde zu spät, wie sich herausstellte.
Verschlafen öffneten Verena und Leonie beinahe zeitgleich die Tür. Nur , dass Leonie als erstes freudestrahlend auf ihren Papa losrannte, während Verena wortlos auf direktem Weg das Badezimmer ansteuerte.
„Guten Morgen , mein Schätzchen! Na, hast du gut geschlafen?“ Marc nahm seine Leonie fest in die Arme und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel.
„Und wie! Das Bett ist hier so weich und die Decke so dick und flauschig, dass ich das Gefühl hatte, in einer Wolke zu liegen!“
„Das ist toll! Was meinst du, machen wir Frühstück? Mama wird so schnell nicht mehr aus dem Badezimmer kommen, da hätten wir genügend Zeit für Rührei und Toast. Was meinst du dazu?“
Er deutete den Jubelschrei direkt neben seinem Ohr als positive Antwort und hoffte, dass die einsetzende Taubheit nur vorübergehender Natur war. Leonie half ihrem Vater fleissig bei der Zubereitung des Frühstücks und als Verena dann endlich perfekt gestylt das Badezimmer verliess, war die Küche ein Saustall, aber der Tisch ordentlich eingedeckt und mit vielen Leckereien verziert. Verena registrierte, dass sie nach dem Skifahren einiges sauberzumachen hätte, wollte die gute Absicht dahinter aber nicht mit ihrem aufkeimenden Ärger schmälern. Also buddelte sie in den Untiefen ihres Bewusstseins, fand ein Lächeln , setzte es auf und spielte helle Begeisterung.
Nachdem dann schliesslich die gesamten Nahrungsmittel in den Mägen der Köche ihren Platz gefunden hatten , die Skianzüge montiert und die Skier geschultert waren, verliess die kleine Familie mehr oder weniger gut gelaunt die Ferienwohnung , um die reizvolle Natur zu geniessen . Marc war mit Leonie schon einige Meter weit gegangen, als er Verenas wütenden Ruf vernahm. „Bleib verdammt noch mal stehen!“
Etw as verwundert hielt Marc nichts ahnend an und drehte sich um. Bei Verenas Anblick erlosch das Lächeln auf seinem Gesicht. Sie war in etwa in der Farbe ihrer Fingernägel angelaufen und schnaubte förmlich. Er wusste nicht genau, ob vor Wut oder vor Anstrengung. Langsam dämmerte ihm, was ihr Problem war. Doch bevor er etwas sagen konnte, polterte sie bereits los. „Sag mal spinnst du? Soll ich die ganzen Sachen hier alleine
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