Wenn die Wahrheit nicht ruht
fest, dass sie auf die Strasse Richtung Bergji geraten war. Hier kam nur eines in Frage: Umdrehen.
Doch mitten in der Bewegung hielt Leonie inne. Hatte sich im Schatten der Bäume etwas bewegt? Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Das erste Haus am Dorfrand war nur ein paar Meter entfernt. Das war machbar. Also setzte sie sich wieder in Bewegung. Ganz von alleine beschleunigten sich ihre Schritte. Erleichtert dachte sie daran, es beinahe geschafft zu haben, da löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit und legte ihr die Hand fest und unerbittlich auf den Mund. Ihr Schrei verebbte zu einem gurgelnder Laut, noch bevor er ihre Kehle erreichte. Beschwichtigend flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr. „Ganz ruhig! Ich bin ’ s nur!“
Da nn liess die Hand von ihr ab. Ohne weiter nachzudenken drehte sich Leonie um, holte mit der geballten Faust weit aus und traf Sören direkt am Kinn. Er strauchelte, konnte sich aber auf den Füssen halten. Aber anstatt sich aufzuregen, zuckte ein belustigtes Lächeln um seine Mundwinkel. „Du hast ’ ne ziemlich harte Rechte für ein Mädchen.“
„Und du kannst gleich noch meine Linke ausprobieren , es sei denn, du schmierst dir dein selbstgefälliges Grinsen selbst aus dem Gesicht!“ Teils vor Schreck, teils aus Wut darüber, dass er sie schon wieder aus dem Hinterhalt angefallen hatte, schwang sie drohend die linke Faust. Wenn er sie nochmals herausforderte, würde sie ohne zu zögern erneut zuschlagen. Er hatte es nicht besser verdient.
„Sc h sch t! Oder willst du die ganze Nachbarschaft aufwecken ?“
„Im Fenster brennt Licht und der Fernseher flackert. Da gibt’s nichts zu wecken.“
„Ich seh ’ schon, dein Sarkasmus ist auf Spazierfahrt. Du brauch s t wohl noch ’ ne Weile um wieder runterzukommen. Aber vielleicht hilft dir meine kleine Überraschung dabei. “
Jetzt regte sich ein kleiner Funke kindlicher Neugierde in ihr, der direkt ihre Augen erreichte . Sören bemerkte die Veränderung in dem leuchtenden Grün und nahm Leonie lächelnd an der Hand. Zusammen zogen sie weiter. Weiter weg vom Dorf. Weiter in die Dunkelheit.
„Timo? Was hast du für mich?“ Von seinem Klingelton aus den sinnlosen Grübeleien gerissen, war Sebastian auf einen Schlag wieder ganz da. Verdutzt bemerkte er ganz nebenbei, dass das Licht der Bar bis auf die Leuchtreklame erloschen war. Von seiner Bierflasche perlte das Eiswasser ab und der Inhalt hatte ein leichtes Schaumkrönchen. Über dem Etikett klebte ein Zettel . Er erkannte Angelas geschwungene Handschrift sofort. ‚Wenn du wieder zu dir kommst, geniess das frische Bier. Wenn du uns brauchst, wir sind da. Aber schliess die Bar , bevor du kommst.’
Der letzte Satz stand in Saschas krakeligen Lettern geschrieben. Das passte. Da wollte er den ganzen Abend seine geistige Abwesenheit verheimlichen und stand dann derart neben sich, dass er kaum mehr mitbekommen hatte, dass seine Freunde rund um ihn herum die Bar dicht gemacht hatten . Genauso wie er gerade eben nicht mitbekam, dass Timo immer noch in der Leitung war und mit Ausrufen in den verschieden sten Tonlagen versuchte Sebastians Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.
„Ja! Nein! Ich bin dran! Tut mir leid Timo , aber du weisst ja, ein Abschiedskuss deiner Frau haut den Stärksten um.“
Vom anderen Ende der Leitung folgte umgehend di e erwartete Lass-meine-Frau-in-R uhe-Standpauke , die Sebastian nu tzte, um das Telefon kurz wegzulegen, seine Jacke überzuziehen, die Reklamen zu löschen, zu kontrollieren, ob die v ordere Tür verriegelt war und sich schliesslich mitsamt Telefon aus der hinteren Tür zu schleichen, die er regelkonform schloss. Dann erst hob Sebastian das Telefon wieder an sein Ohr. Gerade rechtzeitig, um brav auf Timos Vortrag über ‚ Freunde fassen die Frauen anderer Freunde nicht an, zu antworten.
„Bereits nach unserer ersten Begegnung habe ich verstanden, dass sie dein Mädchen ist, obwohl du mit der blutenden Nase nach Hause gegangen bist.“ Diese oberflächliche Auseinandersetzung zusammen mit d er frischen eisigen Luft sorgte dafür, dass sich Sebastian ein wenig entspannte.
Durch die Ablenkung dachte er nicht darüber nach, wo er hin wollte. Seine Beine schlugen ganz von alleine den Weg zu seiner Wohnung ein. Wie gewohnt spazierte er vom Zentrum weg, an der schlafenden Hannigalpbahn vorbei, weiter Richtung Ende des Dorfes .
Dann geschahen zwei Dinge auf einmal. Sebastian blicke die Strasse hoch. Dort parkte ein grosser ,
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