Wenn die Wahrheit nicht ruht
Sprechen. „Sagt dir der Name Ambros noch etwas?“
Jetzt weiteten sich Heinz’ Augen vor Überraschung. Auch in Leonie re g te sich etwas, aber sie konnte es nicht zuordnen.
„ Ja, ganz richtig, mein lieber Heinz. Ambros war mein Vater und er hat mir alles erzählt. Er erzählte mir, wie ihr ihn wie ein wildes Tier gejagt habt, wie er nur durch eine List davongekommen ist. Ja, da staunst du, was? Er hat das Schneemobil alleine über die Klippe geschickt. Er selbst floh durch die Berge und schlug sich nach Italien durch, von wo aus er sich über Frankreich bis nach Schweden durchkämpfte. Erst dort, viele tausend Kilometer von euch entfernt, wagte er einen Neuanfang. Meine Mutter war schwach. Sie machte sich vor langer Zeit aus dem Staub, denn sie hörte die Geschichte über Vaters Vergangenheit nicht gerne, ich hörte sie dafür umso lieber. Und mit jeder Erzählung wuchs mein Hass. Noch bevor ich volljährig war, wusste ich, ich würde zurückkehren und die Verantwortlichen für ihre taten bluten lassen. Also bin ich hergekommen um das, was ihr ihm angetan habt, zu sühnen. Leider sind von euch nicht mehr ganz so viele übrig, wie ich gehofft hatt e.“
Da fiel Leonie etwas ein. Bestürzt schloss sie für einen kurzen Moment die Augen. „Hans Zumbrunn… Du warst das.“
Sören schien erfreut, er liess von Heinz ab und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Leonie. „Wusste ich doch, dass du die R ichtige bist.“ Stolz trat er an ihre Seite. Noch bevor Leonie fragen konnte, was er damit meinte, griff er in seine dicke Jacke, zog einen schwarzen Gegenstand hervor und reichte ihn ihr. „Hier. Bring die Geschichte zu einem Ende. Tu es für deinen Vater, deine Mutter , deine verlorene Kindheit und vor allem für dich.“
Reflexartig streckte Leonie ihre Hand aus und nahm den ihr angebotene n Gegenstand , noch bevor sie realisierte, was von ihr verlangt wurde. Verdutzt starrte sie auf ihre Handfläche. Noch nie hatte sie eine Waffe gehalten. Und jetzt lag da eine direkt in ihrer Hand. Schwer, schwarz und gefährlich. Sie umfasste sie, wie sie es aus Filmen kannte. Beide Hände um den Schafft, den Lauf geradeaus gerichtet.
„Ja. Genauso. Na los , mein Schatz, tu es!“ Unheilvoll und gesichtslos schwebte das aufgeregte, erwartungsvolle Flüstern Verenas zu Leonie und umwaberte sie wie der eisige Wind. Unweigerlich hob Leonie die Waffe mit ausgestreckten Armen etwas höher. Den Lauf direkt auf Heinz ’ Kopf gerichtet. Sie musste sie nur noch entsichern und abdrücken.
„Ja, sieh ’ s dir an. Auch du kannst sie jetzt nicht mehr aufhalten.“
Leonie verstand nicht an wen sich die Worte richteten . Irritiert sah sie sich um.
„Tu es nicht. Leg die Waffe weg.“ Sie hörte die warme Stimme , noch bevor sie ihn sah. Dann entdeckte sie ihn. Er hatte sich erstaunlich nahe an die kleine Gruppe heranschleichen können, ohne dass sie i h n bemerkt hätten. Oder hatte Sören ihn schon lange gesehen? Gefesselt von seinem intensiven Blick verharrte Leonie in ihrer Position. Er wirkte nicht aufgewühlt, nicht flehend, nicht verwirrt und auch nicht verzweifelt. Sondern ruhig und besonnen. Das war irritierend, vermutete sie ihre eigenen Gefühle der zeit doch im Auge eines Orkans wiederzufinden.
„ Er hat ihn nicht umgebracht .“
„Lächerlich!“ Wütend schleuderte Sören das Wort nur so heraus. „Erschiess ihn und seinen Sohn gleich mit! Er hat dich benutzt, mit dir gespielt, dich verraten!“
„Er hat ihn vielleicht angefahren, getötet wurde er aber erst im Krankenhaus.“
Leonies Hand begann zu zittern. Sebastian wertete das als gutes Zeichen und sprach weiter auf sie ein. „Timo hat ein wenig rumgeschnüffelt. Jemand hat deinem Vater Arsen verabreicht. Wahrscheinlich über den Blutverdünner.“
Wieder eine Flut Bilder. Ein Mädchen unter einer Fensterbank, zwei Füsse in schwarzen Schuhen, ein weisser Kittel, eine Hand in der Tasche , eine Hand am Schlauch zum Arm ihres Vaters, wild piepsende Geräte. Leonie japste nach Luft. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie vergessen hatte zu atmen.
„Woher will er das nach so vielen Jahren wissen, hä?“ Wutentbrannt kreischte Verena Sebastian an. Ihre Stimme war noch um einige Oktaven gestiegen.
„Ihretwegen. Sie haben sich eine Kopie der Patientenakten geben lassen. Wissen Sie noch?“
Verenas Kinnlade klappte herunter. Mit offenem Mund starrte sie Sebastian an.
„Mein Hausarzt…“
„Genau. Sie haben ihm die Akten zur Durchsicht gegeben.
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