Wenn die Wahrheit nicht ruht
er hatte aber auch das gehört, was nicht ausgesprochen worden war. Die erhaltenen Informationen in seinem Kopf ordnend, griff er nach dem Bier, das vor ihm auf dem Tisch stand. Derjenige der krumm kommt, ist schon da , dachte er grimmig, während er das Glas in einem Zug leerte.
Das diffuse Licht liess den feinen , goldenen Ehering aufblitzen, als die Hände sich um das Glas legten. Der Rest der Gestalt blieb im Schutz der Schatten verborgen, vorausgesetzt , man sah nicht genauer hin . Und Hans hatte nicht genauer hingesehen, ganz im Gegensatz zu Moritz.
Kaum hatte sich die Türe hinter Hans geschlossen, kam ein Junge mit geröteten Wangen direkt auf ihn zugerannt. Allem Anschein nach war er in heller Aufregung, denn die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, allerdings absolut zusammenhangslos und unverständlich. Hätte er nicht wie ein gehetztes Reh gewirkt , hätte man es als anstandslos bezeichnet, dass er den Gemeindepräsidenten persönlich am Ärmel zupfte, als wäre es Grossmutters Schürze. Hans ging soweit in die Knie, bis er mit dem Jungen auf Augenhöhe war und soweit, wie es sein Bauch zuliess. „Jetzt ma l langsam , mein Junge . Was du da schwafelst , macht keinen Sinn. Also konzentrier ’ dich. Was ist los?“
Der Junge schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Aber er gehorchte. Dreimal atmete er tief ein und wieder aus, bevor er erneut zum Sprechen ansetzte . Diesmal schienen die Worte klar, Sinn machten sie dennoch nicht. „Ambros. Sie sind gerade dabei Ambros abzuführen!“
„Wer führt Ambros wohin?“ Eine der buschigen Augenbrauen hochgezogen , schaute Hans den Jungen fragend an.
„Die Polizei! Sie verhaften ihn!“
Inzwischen war auch Moritz auf die Strasse getreten. Die Blick e der beiden Männer trafen sich und in wortlosem Einverständnis eilten sie gleichzeitig los. Vor Ambros’ Wohnung schien bereits das ganze Dorf anwesend zu sein. Schaulustige warteten gespannt, bis die Polizisten das Haus wieder verliessen. Als die Leute den Gemeindepräsidenten sahen, strömten sie beinahe ehrfürchtig auseinander und bildeten eine Gasse. Mit Moritz im Schlepptau trat er auf das Haus zu. Bevor er jedoch eintreten konnte, kamen die Po lizisten bereits wieder heraus, zwischen ihnen hing wie ein Kartoffelsack Ambros, dessen Arme die Gesetzeshüter auf seinem Rücken zusammenhielten. Mit seinen Blessuren, die nach wie vor an die ereignisschwere Nacht erinnerten, und dem traurigen Blick, rief er in so manchem ein Gefühl von Mitleid hervor . Auch Hans durchfuhr ein unangenehmes Gefühl. Er baute sich in voller Grösse vor den Polizisten auf. „Was ist hier los?“
Die Polizisten blieben zwar stehen, schauten ihm aber ungerührt direkt in die Augen. „Der Junge hier wurde angezeigt und jetzt kommt er in Untersuchungshaft .“
„Was wird ihm vorgeworfen?“ Moritz verliess seine Deckung hinter dem Rücken von Hans und postierte sich neben ihm.
Der Polizist war etwas erstaunt über diese Frage, denn er war davon ausgegangen, dass die der Verhaftung vorangegangene Anzeige schon längst als Gerücht kursierte. Ausnahmsweise schien dies aber nicht der Fall zu sein. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Tut mir leid.“
Das hatte Moritz erwartet. Aber es spielte keine Rolle. Er kannte den Grund für die Verhaftung , denn er kannte den anonymen Anrufer, der die Anzeige gemacht hatte . Es war niemand geringeres als er selbst gewesen. Eigentlich war es als Warnung für Josef gedacht gewesen, damit er seine dummen Ideen nicht umsetzte. Als das Problem Josef sich dann anderweitig gelöst hatte , war die Geschichte mit der Anzeige schon in vollem Gange gewesen . Sicher, er hätte sie zurückziehen können, denn Ambros würde kaum lange einsitzen, dafür sind die Beweise, die er liefern konnte, ohne sich selbst ans Messer zu liefern, einfach zu gering. Aber er sah keinen Grund , weshalb er nicht herausfinden sollte, wie Ambros und die Bevölkerung reagierte, wenn die Polizei Ambros abholte. Je nach Reaktion könnte Ambros sich i m Dorf nicht mehr blicken lassen und jegliche Unterstützung der Einwohner würde ihm entzogen. Damit wäre gleich noch ein weiteres von Moritz’ Problemen fast von alleine aus der Welt .
Ambros gab keinen Laut von sich. Doch als er die Stimme von Moritz hörte, hob er langsam den Kopf und sah ihn an. Seine Miene wandelte sich von verzweifelter Resignation in ungläubige Wut.
„Ambros, sei dir unserer Hilfe sicher. Wir werden tun, was wir können.“ Moritz ’
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