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Wenn Die Wahrheit Stirbt

Titel: Wenn Die Wahrheit Stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie , Andreas Jäger
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Gails Söhne ausgezogen waren.
    »Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Gail. Ihr Ton war immer noch feindselig, aber sie wirkte schon nicht mehr ganz so selbstsicher.
    »Ähm, mein Name ist Gemma. Ich dachte, Sie müssten eigentlich Charlottes Großmutter sein, aber Sie sehen ja viel zu jung aus -«
    Angesichts der dreisten Schmeichelei wurde Gails Miene sofort ein wenig milder. »Kann schon sein, dass ich zu jung bin, um Oma zu sein, aber ich war ja schließlich selber noch’n Baby, als ich meine Tochter gekriegt hab.« Sie betrachtete Gemma noch eingehender und zog die Mundwinkel nach unten. Gemma hatte irgendwie das Gefühl, dass sich auch die Stirn der Frau hätte in Falten legen müssen, doch die blieb erstaunlicherweise glatt. »Aber wir kennen uns nicht, oder doch?«
    Gemma sprudelte eine Erklärung hervor, etwas überhastet vielleicht, aber falls sie sich in ihrer Nervosität ein wenig wirr anhörte, umso besser, dachte sie. »Es tut mir so leid, was mit Ihrem Schwiegersohn passiert ist. Das muss ja ein furchtbarer Schock für Sie sein. Ich bin eine Freundin eines Freundes Ihres Schwiegersohns - Ihres verstorbenen Schwiegersohns -, genauer gesagt,
des Freundes, der ihn als vermisst gemeldet hat. Ich habe geholfen, Charlotte zu versorgen, bis die Dame vom Jugendamt eintraf. Ich weiß nicht, warum man nicht gleich Sie angerufen hat. Sie ist so ein süßes Mädchen, und ich dachte mir, nun ja, sie sollte doch bei ihrer Familie bleiben, nicht wahr? Und dann dachte ich mir, na ja, wenn du schon mal in der Gegend bist, kannst du doch gleich mal vorbeischauen, um dein Beileid auszusprechen und zu fragen, ob du irgendetwas tun kannst, aber …« Sie brach ab, als sei sie sich unsicher, wie sie fortfahren sollte, was sicherlich auch der Fall war. Und dabei betete sie nur, dass Gail sie nicht fragen würde, wie sie an die Adresse gekommen war.
    Doch die Chance, sich einer verständnisvollen Zuhörerin anvertrauen zu können, war offenbar eine allzu große Versuchung für Gail Gilles, so unwahrscheinlich das plötzliche Auftauchen einer solchen an ihrer Wohnungstür auch sein mochte. Sie zog die Tür weit auf und sagte: »Is’ doch wahr, oder? Ich sag immer, ein Kind sollte bei seiner Familie sein. Alles andere is’ doch unnatürlich. Aber kommen Sie doch kurz auf’n Tässchen rein. Wie war Ihr Name noch mal?«
     
    »Das Wasser hat grad erst gekocht«, sagte Gail. »Müsste noch heiß genug sein. Setzen Sie sich doch, ich bring Ihnen was.« Als Gemma einen Blick in die Küche erhaschte, sah sie einen offenen Pizzakarton auf der Arbeitsfläche, daneben eine funkelnagelneue Espressomaschine und dahinter einen alten Plastik-Wasserkocher. In der Wohnung roch es ein wenig nach verstopftem Abfluss, oder vielleicht nach vergammelndem Müll.
    Sie folgte der Aufforderung, setzte sich zaghaft auf die Kante einer neuen, cremefarbenen Polstercouch und nutzte die Gelegenheit, ihre Umgebung in Augenschein zu nehmen. Ihr erster Eindruck war, dass in der Wohnung ein Flohmarkt im Gang war. Zu der Couch gehörte noch ein Sessel und ein Zweiersofa, alles dicht zusammengerückt wie aufgequollene cremefarbene
Pilze, und auch sonst war das Zimmer bis zum Platzen vollgestopft mit Krempel: bunt zusammengewürfelte Möbelstücke, zum Teil defekt; Kinderspielzeug, Haufen von Kleidern und sogar ein Teppich, der zusammengerollt in der Ecke stand.
    Die vergilbten Wände waren mit einem Sammelsurium von billigen Drucken und Porträts von Prinzessin Diana behängt, nebst einigen Familienfotos, die zwei stämmige Jungen zusammen mit einem Mädchen zeigten, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Sandra hatte. Ihr Gesicht war hübscher als das von Sandra, aber weniger interessant und intelligent. Sandras jüngere Schwester Donna? Auf einem anderen Foto war das gleiche Mädchen als junge Frau zu sehen, umringt von drei unnatürlich steif wirkenden kleinen Jungen.Von Sandra konnte Gemma nirgendwo ein Foto entdecken - und ebenso wenig von Charlotte.
    »Das ist meine Donna.« Gemma erschrak, als Gail plötzlich wieder im Zimmer stand, mit zwei Bechern lauwarmem Instant-Kaffee, wie Gemma bald feststellen musste. Er war offensichtlich mit Wasser aus dem alten Kocher gemacht, denn auf der Oberfläche schwammen Kalkbrösel.
    »Äh, danke.« Gemma lächelte und setzte den Becher auf dem Couchtisch ab, bemüht, ihren unverbindlichen Gesichtsausdruck beizubehalten. Sie hatte sich schon bei dem Gedanken ertappt, dass Gails Söhne, falls sie wirklich mit Drogen

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