Wenn Die Wahrheit Stirbt
man bedenkt, dass Sie immerhin mit Sandra Gilles bekannt waren.« Mit den Händen in den Hosentaschen war Kincaid zur Wand neben Trumans Schreibtisch geschlendert, wo er die dort aufgehängten Diplome studierte. Cullen ging auf die andere Seite und blieb dort stehen, um Truman zu beobachten. Gemma fiel auf, dass zwischen Kincaid und Cullen inzwischen jenes unmittelbare, wortlose Verständnis herrschte, das für Partner unabdingbar war. Den kleinen Anflug von Eifersucht, der sie dabei überkam, unterdrückte sie rasch. Es war schon gut so, wie es war.
Ein unangenehmer Schweißgeruch stieg ihr in die Nase. Immerhin hatten sie es geschafft, Truman nervös zu machen.
Kincaid drehte sich von der Wand mit den Urkunden weg. »Konferenzen in Brüssel, Brügge und Lissabon. Und neulich waren Sie in Spanien, sagen Sie? Sie reisen wohl gerne, Mr. Truman. Waren Sie schon einmal in Asien? In Indien vielleicht oder in Bangladesch?«
»Was? Nein. Was sollte ich denn da? Diese Länder sind doch kaum zivilisiert.«
»Oh, das würde ich nicht sagen. Aber manche Gegenden sind sehr arm, und die Menschen dort greifen zu verzweifelten Maßnahmen, um zu überleben. Zum Beispiel, indem sie ihre Kinder verkaufen.«
Truman starrte Kincaid an. Er schwitzte jetzt sichtlich, und er war ein wenig blau um die Lippen. Gemma hoffte, dass er nicht vor ihren Augen mit einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall umkippen würde. »Ich war noch nie in Asien«, sagte er. Seine Zungenspitze schnellte zwischen den Lippen hervor, um sie zu befeuchten. »Sie können meinen Pass überprüfen.«
»Und Ihr Spanienurlaub vor zwei Wochen? Können Sie den belegen?«
»Natürlich kann ich das.« Etwas von Trumans polternder Art flackerte wieder auf. »Ich bin mit dem Auto gefahren. Mein Pass wurde beim Betreten und beim Verlassen der Fähre gestempelt.«
Er hatte weniger Probleme damit zu erklären, wo er zum Zeitpunkt des Mordes an Naz gewesen war, als mit den Fragen zu Asien, dachte Gemma. Und Kincaids Bemerkung über die verkauften Kinder hatte ihm einen gehörigen Schreck eingejagt. Er wusste mit Sicherheit von irgendwelchen dunklen Machenschaften.
Irgendwo unter ihnen bellte ein Hund. »Mr.Truman.« Gemma schenkte ihm ein Lächeln. »Ihre Praxis ist im Untergeschoss, nehme ich an?«
»Ja.« Er klang ein wenig misstrauisch, aber zugleich erleichtert über den Themenwechsel. »Und wir haben auch eine kleine Tierpension, die direkt an den Garten anschließt. Das Grundstück ist nämlich recht groß, wissen Sie.«
»Da haben Sie sicher Ihre Assistenten«, meinte Gemma im Tonfall sympathischen Interesses. Der Mann trug einen Anzug. Vielleicht tauschte er sein Sakko schon einmal gegen einen Laborkittel, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich
persönlich zu Arbeiten herabließ, bei denen er mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten in Berührung kommen könnte.
»Ja. Eric und Anthony. Sie sind sehr gut.«
»Das sind sie bestimmt, sonst hätten Sie sie wohl nicht eingestellt.«
Truman hatte sich jetzt so weit entspannt, dass er einen Blick auf seine Armbanduhr riskierte. »Und sie warten sicher schon auf mich, damit wir mit der Nachmittagssprechstunde anfangen können -«
»Verwenden Sie in Ihrer Praxis Ketamin, Mr.Truman?«, fragte Gemma.
Er starrte sie an, als hätte ein freundlicher Hund ihn ohne Vorwarnung in die Hand gebissen. »Ketamin? Das ist relativ gebräuchlich. Ein nützliches Sedativum.« Er blies die Backen auf und fuhr fort: »Sagen Sie, geht es hier vielleicht um Drogen? Ich bin ja nicht dumm. Ich weiß, dass Ketamin als Straßendroge verkauft wird, aber wenn Sie mir vorwerfen -«
»Wir werfen Ihnen gar nichts vor«, schaltete Kincaid sich ein. »Aber ich nehme doch an, dass Sie über den Medikamentenverbrauch in Ihrer Praxis Buch führen.«
»Natürlich tue ich das.«
»Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn wir uns Ihre Unterlagen einmal ansehen.«
»O doch, da habe ich etwas dagegen.« Truman nahm wieder seine halsstarrige Haltung ein. »Da können Sie mich ja gleich beschuldigen, ein gewöhnlicher Krimineller zu sein, und das lasse ich mir nicht bieten.«
»Wir könnten uns einen richterlichen Beschluss besorgen«, sagte Kincaid.
»Dann schlage ich vor, dass Sie das tun.« Truman stand auf, und Gemma sah, dass er ein gutes Stück kleiner war, als er im Sitzen wirkte. Sein Körper war irgendwie merkwürdig proportioniert, der Rumpf zu lang im Verhältnis zu den Beinen.
Vielleicht hatte er es deshalb
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