Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
beharrten, neben L’Amours Dont Sui Epris ? noch viele andere Lieder zum besten zu geben, so scherte ihn das nur wenig, denn Singen war nun einmal seine Leidenschaft, und er kompo-nierte ein neues Lied nach dem anderen.
Irgendwann mußte Blondel jedoch feststellen, daß er zwar unter jeder Burg des christlichen Abendlandes gesungen, den König aber noch immer nicht gefunden hatte. Als er dies gegenüber den Kaufleuten erwähnte, sagten sie ihm, wie bedauerlich sie diesen Umstand fänden, doch hätten sie sowieso schon lange darüber nachgedacht, daß ihm die Akustik unterhalb von Burgmauern in keiner Weise gerecht werde, und was er davon halte, wenn man ihm irgendwo in zentraler Lage ein großes Stadion baue, das über die entsprechenden Parkmöglichkeiten, eine angemessene Akustik und eine Aufnahmekapazität von, sagen wir mal, fünfzig- bis sechzigtausend Zuschauern verfüge. Das, so meinten sie, lenke ihn auch von seiner vergeblichen Suche nach König Richard ab.
Doch dann, nachdem Blondel in der speziell für 68
ihn errichteten Arena etwa einen Monat lang stets vor ausverkauftem Haus gesungen hatte, wurde er von einem Boten aufgesucht. Die meisten Einzelheiten können wir uns an dieser Stelle sparen; wichtig ist nur, daß der Bote ihm versicherte, Richard sei noch am Leben und wohlauf und werde tatsächlich in einer Burg gefangengehalten. Das Problem sei nur, daß die Burg sehr schwer zugänglich sei.
Blondel antwortete daraufhin, ihm sei das egal, schließlich habe er dem König sein Wort gegeben, und er wolle selbst unter diesen Umständen auf keinen Fall aufgeben.
Der Bote zuckte nur die Achseln und meinte, dies sei zwar ehrenhaft, aber Richard sei nicht von dem König von Frankreich oder dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation oder von sonst einem dieser vorübergehenden Zeitgeister entführt worden, sondern befinde sich im Kerker des Chastel des Larmes Chaudes.
»Und was heißt das?« wollte Blondel wissen. »Wo liegt denn dieses Chastel des Larmes Chaudes?«
»Gute Frage«, antwortete der Bote, woraufhin Blondel ihn ermahnte, nicht mit ihm herumzual-bern.
Das Chastel des Larmes Chaudes liege sehr versteckt, fuhr der Bote daraufhin in ernsthafterem Ton fort. Und zwar dürfe man sich das nicht nur räumlich vorstellen, denn es halte sich auch in der Zeit verborgen; es könne sich in der Gegenwart, in der Vergangenheit und selbst in der Zukunft befinden. Außer-69
dem möge Blondel ihm doch bitte von der Gurgel gehen, zumal es ihm äußerst schwerfalle zu atmen.
Der Bote machte sich auf die Suche nach einer Zaubernuß für seinen Hals, und ließ Blondel noch verzweifelter zurück, als er es bereits vorher gewesen war. Zeit blieb Zeit, und niemand konnte in die Vergangenheit oder Zukunft reisen. Nichtsdestotrotz hatte dieser Kerl eine beschwerliche Reise auf sich genommen, nur um ihm das zu sagen, und Blondel wollte die Angelegenheit auf keinen Fall ungeklärt im Raum stehenlassen.
Zumindest konnte er seinen Agenten (besser gesagt, seinen Managern, die unter dem Namen
›Beaumont Street Agency‹ eine Konzertagentur ins Leben gerufen hatten) das Problem darlegen, um zu sehen, ob sie diesbezüglich einen Vorschlag hätten.
»Kein Problem«, versicherten sie ihm …
»Und das ist also passiert«, sagte Blondel. »Jedenfalls mehr oder weniger.«
»Mehr oder weniger«, wiederholte Guy gedanken-verloren. »Willst du damit sagen, daß du dieser …«
Blondel nickte nur. Zwar wollte seine Hand automatisch nach etwas greifen, worauf man ein Autogramm schreiben konnte, doch sein Verstand unterdrückte diesen Instinkt.
»Willst du mir etwa damit allen Ernstes erzählen«, fuhr Guy fort, wobei er sich wie ein Mensch in einem finsteren Raum mühsam durch die Worte vorankämpfte, »daß du neunhundert Jahre alt bist?«
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Zu Blondels Ehre sei gesagt, daß er erneut nur bescheiden nickte.
Guy schloß die Augen, dann fragte er: »Und wie muß ich dich … ähm … Sie jetzt nennen? Mister?
Monsieur?«
»Nenn mich einfach Blondel.«
»Angenehm, Guy. Sag mal, gibt’s hier irgendwo in der Burg eine Toilette?«
»Eine Toilette?«
»Ja, einen Abort, einen Donnerbalken, eine Latri-ne oder was weiß ich.«
Blondel runzelte die Stirn. »Nichts dergleichen.
Schließlich befinden wir uns gerade im zwölften Jahrhundert – größtenteils jedenfalls. Den Strom für diese Geräte hier hole ich mir aus dem dreiundzwanzigsten Jahrhundert. Ich möchte gar nicht an die Rechnung denken, die
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