Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
anderen Sorgen aus seinem Kopf verbannte, hatte die Lieblingsbeschäfti-gung des Königs darin bestanden, mit dem Herzog Duetts zu singen (Richards Stimme erinnerte dabei stark an ein abgestochenes Schwein, doch erwähnt man solche Dinge nicht gegenüber einem Feudal-61
herrscher, der einen Amboß mit einem einzigen Schwerthieb entzweien kann), und eines Abends hatte König Richard, wahrscheinlich unter zu starkem Einfluß von Met, Blondel seine Angst vor einer Entführung gestanden. Schließlich war die Geiselnahme von Königen im zwölften Jahrhundert ein blühendes Gewerbe; und auch wenn er kein solch begehrtes Sammlerexemplar wie der Kaiser des Heiligen Rö-
mischen Reiches Deutscher Nation war, so kannte König Richard doch seinen Marktwert. Blondel muß-
te ihm hoch und heilig versprechen, ihn im Falle einer Entführung zu suchen und zur Flucht zu verhel-fen; er wäre verdammt, das hart verdiente Geld seiner Untertanen für das Lösegeld draufgehen zu lassen, sagte der König (wahrscheinlich hicksend), wenn es nur etwas Mut, Entschlossenheit und einer fünfzehn Meter langen Strickleiter bedürfe, ihn aus sämtlichen Burgen des christlichen Abendlandes zu befreien.
Blondel antwortete darauf, das alles stelle zwar kein Problem dar, doch was wäre, wenn ihn seine Entführer in einer unzugänglichen Burg gefangenhal-ten und sich weigern würden, seinen Aufenthaltsort zu verraten?
Richard (nehmen wir mal an) lächelte und sagte, darüber habe er auch nachgedacht, und genau an dieser Stelle komme Blondel eine entscheidende Rolle zu. Er müsse nur sämtliche Burgen des Abendlandes aufsuchen (zu jener Zeit gab es in der christlichen Welt wenigstens fünfzehntausend Burgen, aber viel-62
leicht wußte Richard nichts davon) und in jeder Festung die Strophe des Liedes singen, das sie gerade eben zum besten gegeben hätten. Das Lied, in dem es um Tristan gehe.
L’Amours Dont Sui Epris ? Ja, so hieß es. Ein schönes Lied. Jedenfalls solle Blondel die erste Strophe anstimmen, und sobald Richard ihn singen höre, wolle er die zweite Strophe singen. Da er eine ganz schön laute Stimme habe, dürfe dies Blondel keine Probleme bereiten – überhaupt keine Probleme sogar. Dann könne Blondel die dritte Strophe singen, was für sie beide das geheime Zeichen sei, daß er achtundvierzig Stunden später unterhalb des Hinter-ausgangs mit zwei Pferden und einer stabilen Strickleiter warte. Blondel antwortete, er halte diesen Vorschlag für eine hervorragende Idee, und bat darum, falls es Seiner Majestät nichts ausmache, ins Bett gehen zu dürfen, da es schon sehr spät geworden sei.
Blondel hielt sein Versprechen. Jahrelang durch-streifte er Frankreich und Deutschland, sang unterhalb der Burgmauern, bis er schließlich sein ganzes Geld ausgegeben hatte und nichts mehr besaß, was er hätte verkaufen oder verpfänden können. Als er gerade in tiefster Verzweiflung in einem kleinen Wirts-haus in der Lombardei saß, geriet er zufällig in ein Gespräch mit drei fahrenden Kaufleuten. Vorsichtig erkundigten sie sich bei ihm, ob sie recht in der An-nahme gingen, daß er der berühmte Blondel sei.
Obwohl er sehr müde und mit den Nerven am En-de war, war sich Blondel der Pflichten eines Künst-63
lers gegenüber seinem Publikum durchaus bewußt und zwang sich zu einem Lächeln. Die Kaufleute bestellten ihm daraufhin etwas zu trinken und erzählten ihm, daß sie schon lange große Bewunderer seiner Arbeit seien.
Nach ihrem Dafürhalten besitze er Originalität und Ausstrahlung und dieses – wie nennt man das noch mal? – ah ja, dieses gewisse Etwas eben. Alle seien sich darin einig, er habe sogar sehr viel von diesem gewissen Etwas, und ob er eigentlich schon einen Agenten habe.
»Was ist denn ein Agent?« erkundigte sich Blondel.
Der älteste Kaufmann brach als erster das zuvor entstandene Schweigen. Er beugte sich ein wenig vor, lächelte auf eine Weise, wie es Leute tun, die erschrocken und fasziniert zugleich sind, und sagte:
»Also, passen Sie auf …«
Blondel zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch; zwar hatte er in Wirklichkeit nicht ansatzweise so viel Interesse, wie er vorgab, aber jemandem zuzuhören, tat schließlich nicht weh.
»… es ist folgendermaßen: Auf der einen Seite gibt es Sie. Sie sind überaus kreativ, haben tolle Ideen, grübeln viel nach und erfinden solch wunderschöne Zeilen wie ›Gleicht die Haarfarbe meiner Geliebten nicht einem sonnengereiften Kornfeld?‹. Das ist klasse, wirklich.
Womit
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