Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
mich dort bei meiner Ankunft erwartet.
Aber die sanitären Anlagen hier sind, nun ja, eben ausgesprochen mittelalterlich. Warum fragst du?«
Guy dachte angestrengt nach, um möglichst die passenden Worte zu finden. Schließlich sagte er:
»Ich weiß zwar nicht, wie es dir ergeht, aber bei kör-perlichem Unbehagen habe ich immer große Kon-zentrationsprobleme, und zur Zeit habe ich das Ge-fühl, ich sollte mich lieber auf das konzentrieren, was du sagst.«
»Ach so, ich verstehe. Sehr vernünftig von dir.
Wir benutzen immer alle die Abflußrinne, die am Rand des Hauptkorridors entlangläuft. Dahin geht’s direkt durch die Tür hinter dir.«
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»Danke.«
Guy hatte schon immer die Auffassung vertreten, daß einem eine leere Blase gleich eine völlig neue Sichtweise der Dinge verlieh. Schwierigkeiten, die ihm noch wenige Minuten zuvor unüberwindlich erschienen waren, konnte er plötzlich aus einem völlig anderen Blickwinkel sehen. Als er kurz darauf ins Arbeitszimmer zurückkam, fühlte er sich sehr viel aufnahmefähiger und auch selbstbewußter.
»Aha, Blondel heißt du also, richtig?«
»Ja.«
»Freut mich, dich kennenzulernen.« Guy lächelte verlegen. »Übrigens schreibe ich auch Lieder. Na ja, das heißt, ich mache das mehr so nebenbei.«
Für einen kurzen Augenblick blickte Blondel be-kümmert drein, und Guy fragte sich, was er eben gesagt hatte; dann fiel es ihm ein. Es war der Kummer eines Menschen, dem bereits seit neunhundert Jahren, vielleicht sogar noch länger, wildfremde Leute mit ihren Wünschen in den Ohren lagen. ›Laß mich dir nur mal ein paar Takte vorsummen, auch wenn ich annehme, daß du das für den letzten Mist hältst, aber ich find’s gut, hör mal …‹, pflegten sie ihm zu sagen, und Blondel mußte dann stets gegen seine innere Überzeugung handeln, indem er aus Höflichkeit das Gegenteil behauptete.
Folglich wechselte Guy lieber rasch das Thema und fragte: »Wie machst du das eigentlich? Diese Zeitreisen, meine ich. Passiert das von selbst oder … ?«
»Um Himmels willen, nein«, widersprach Blondel 72
lächelnd. »Kein Stück. Meine Agenten haben das alles für mich arrangiert.« Er stand auf und zog eine Schublade des Aktenschranks auf. »Weißt du, sie stammen eigentlich aus dem fünfundzwanzigsten Jahrhundert.«
Guy schluckte. »Ach ja?«
»Allerdings.« Aus der Schublade holte Blondel ei-ne Flasche Portwein hervor. »Möchtest du einen Schluck, Guy? Er stammt aus dem Jahr zweitausend-siebenhundertvierzig und soll einer der besten Jahrgänge aller Zeiten sein, heißt es. Ehrlich gesagt schmecken die für mich sowieso einer wie der andere.«
Guy schüttelte den Kopf. Die Vorstellung, den ge-gorenen Saft von irgendwelchen Früchten zu trinken, die noch gar nicht gewachsen waren, rief bei ihm ein gewisses Unwohlsein in der Magengegend hervor.
»Im fünfundzwanzigsten Jahrhundert werden Zeitreisen genauso normal sein, wie beispielsweise für dich Flugreisen sind«, klärte Blondel ihn auf. »Es wird sogar derart alltäglich sein, daß man auf Plaka-ten dafür werben muß, um die Leute dazu zu bewegen, nicht die eher konventionellen Methoden vorzu-ziehen. ›Wohin Sie die Uhr auch drehen, wir waren schon für Sie da‹ und dergleichen. Willst du wirklich keinen Schluck?«
Guy, der nicht unhöflich erscheinen wollte, willigte schließlich ein.
»Nun, bei der konventionellen Zeitreisemethode wird ein System namens Blüchner-Schleife ange-73
wandt. Das alles ist furchtbar technisch, und ich weiß wirklich nicht, wie es funktioniert, aber es hat etwas mit dem Gesetz von der Erhaltung der Realität zu tun. Das vierte Gesetz der Thermodynamik oder so.«
Blondel runzelte nachdenklich die Stirn, dann zuckte er die Achseln. »Jedenfalls irgend etwas in dieser Richtung. Ich habe mal was in der Scientific Oceanian darüber gelesen, aber für mich waren das alles nur böhmische Dörfer. Auf jeden Fall bedeutet das, wenn eine Person eine Zeitreise unternimmt, dann heilt die Zeit gewissermaßen hinter ihm zu, sobald er sich aus ihr entfernt hat. Das heißt: Was immer er beispielsweise in der Vergangenheit treibt, Gegenwart und Zukunft bleiben genau dieselbe, als wäre er nie in der Zeit zurückgereist. Mit anderen Worten: Ich kann nicht die napoleonischen Kriege verhindern, indem ich in der Zeit zurückreise und Napoleon in seinem Feldbett vergifte. Egal, wie häufig ich Napoleon in seiner Kindheit auch umbringe, er wird doch sieb-zehnhundertneunundneunzig das Direktorium zu
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