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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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störrisch wird, gibst du ihm einfach ein Stück Zucker.«
    »Verstanden.«
    »Hast du auch wirklich die Zügel überprüft?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Na schön, dann auf ein Neues.«
    Ein einzelner Strahl des Mondlichts fiel wie der Kegel einer Taschenlampe durch die dichte Wolken-decke und erfaßte Blondels Haar und die silbernen Bünde seiner Laute, während er auf die Zugbrücke der Burg zuschlenderte. Natürlich war die Zugbrücke hochgezogen, allerdings war der Wassergraben nur sehr schmal.
    Guy lugte um den Stamm der riesigen Eiche herum, hinter der er stand, und versuchte herauszufinden, wie er hierhergekommen war. Aufgrund der Kälte, der Dunkelheit und des recht bedrohlichen Aussehens der Burg wäre er am liebsten weggelaufen, da er aber 82
    nicht die geringste Ahnung hatte, wo, geschweige denn in welcher Zeit er war, entschied er sich, zu bleiben und abzuwarten, was da kommen würde.
    Das Pferd, das er am Zaum hielt, riß den Kopf hoch und schlug mit dem Schwanz. Guy schob sofort ein weiteres Stück Zucker zwischen die übelriechen-den feuchten Lippen des Gauls. Guy mochte keine Pferde, und dies hier ganz besonders nicht. Zudem hatte er dieses unangenehme Gefühl, daß es ihm absichtlich Schwierigkeiten machen wollte. Dabei war es schon schwierig genug gewesen, den Gaul bis hierher zu kriegen, wo immer und wann immer das auch sein mochte; in sämtlichen Fluren und Gängen hatte er übelriechende Spuren seiner Anwesenheit hinterlassen und war kurz davor gewesen, sich mit dem Fahrstuhl auf einen Kampf einzulassen. Guy versuchte, an die dunkelblauen Augen von La Beale Isoud zu denken, aber irgendwie klappte das nicht.
    Der Mond verzog sich hinter einer Wolke, und Guy hörte, wie sich Blondel räusperte und kurz die Saiten seiner Laute anschlug. Zwar hatte Blondel grundsätzlich Angst vor Hunden, doch gab es da noch etliche andere Dinge, vor denen er sich weit mehr fürchtete.
    Dann spielte er auf der Laute und begann zu singen:
    »L’Amours Dont Sui Epris
    Me semont de chanter;
    Sifais con hons sopris;
    Qui ne puet endurer …«
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    Ein Hund bellte.
    »Et s’ai je tant conquis
    Que bien me puls venter …«

    Eine Lampe ging an, dann eine weitere.
    »Que j’ai piec’ a apris
    Leaument aamer …«
    In der Luft war ein silbernen Blitz zu sehen, und kurz darauf ertönte ein Geräusch, ein Platschen. Blondel hörte sofort zu singen auf.
    »Und laß dir das eine Lehre sein!« rief eine Stimme von der Mauer herunter. »Hier oben versuchen Leute zu schlafen!«
    Blondel ging langsam zum Baum zurück. Er war völlig durchnäßt und stellte lakonisch fest: »Gut, die Burg können wir von der Liste streichen. Steh gefälligst nicht so träge herum, wir haben heute abend noch eine Menge zu tun.«
    Guy griff in die Satteltasche und holte ein Handtuch hervor. Anfangs hatte er sich noch gefragt, weshalb Blondel unbedingt eins einpacken wollte, jetzt wußte er es.
    »Passiert so was oft?« erkundigte er sich voller Mitgefühl.
    »Ja, ziemlich oft sogar«, grummelte Blondel, während er sich kräftig abtrocknete. »Weißt du, einige 84
    Leute haben einfach schlechte Ohren. Trotzdem tut das jetzt nichts zur Sache, stimmt’s?«
    Ein Weile spazierten sie schweigend nebeneinan-der einher. Guy, der es nicht gewohnt war, im Dunkeln über Stock und Stein zu gehen, konzentrierte sich ganz darauf, wo er hintrat, während Blondel völlig in Gedanken versunken zu sein schien.
    »Das Lied hat mir übrigens sehr gut gefallen«, sagte Guy irgendwann.
    »Wie bitte?«
    »Das Lied. Es hat mir gefallen.«
    »Danke.«
    »Keine Ursache.«
    »Mir persönlich hängt es längst zum Hals raus«, meinte Blondel mit einer unverblümten Direktheit, die Guy von ihm nie erwartet hätte. »Ich wäre der glück-lichste Mensch der Welt, wenn ich es nie mehr hören müßte.« In etwas ruhigerem Ton fügte er hinzu:
    »Schließlich habe ich es mittlerweile öfter gesungen, als ich mir in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Kein Wunder also, daß es mir zum Hals raushängt. Mittlerweile macht mich sogar jede Art von Musik krank. Sollte ich den König jemals finden, werde ich mir nie wieder Musik anhö-
    ren.«
    Durch diese Aussage brach das Gespräch abrupt ab.
    Die nächsten zehn Minuten marschierten sie schweigend weiter, wobei Guy Blondel in der Hoffnung folgte, daß dieser wußte, wohin er ging. Irgendwo rief eine Eule.
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    Gerade als Guy leichten Hunger verspürte, tauchte aus einem Busch am Wegrand eine große weiße Gestalt auf,

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