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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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»Wie du dich erinnern wirst, ist dieses undurchdringliche Tunnelgeflecht die Ge-meinschaftsarbeit von Generationen von Regierungs-angestellten. Zwischen ihnen gibt es eine inoffizielle Übereinkunft, sich abwechselnd um die Ausbesserungs- und Reparaturarbeiten zu kümmern. Was auch dringend notwendig ist.
    Wenn sich niemand drum kümmern und alles allmählich zusammenstürzen würde, gäbe es überall Zeit-rutsche – das reinste Chaos wäre die Folge. Glücklicherweise wird aber alles ganz gut in Schuß gehalten.
    Wir müssen jetzt …« Er hielt plötzlich inne und starrte gebannt auf das Hindernis vor ihm. »Das Geräusch gefällt mir nicht. Was halten Sie davon, Giovanni?«
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    »Wovon?«
    »Hören Sie doch. So ein Mist!«
    Guy drängte sich an Iachimo vorbei und erkundigte sich, worum es denn gehe.
    »Ich will dir ja keinen Schreck einjagen, aber ich fürchte, das Gemäuer hier ist äußerst einsturzgefährdet«, antwortete Blondel. »Hör doch mal.«
    Guy horchte. Es war immer wieder beruhigend, daß er einen ausgeprägten Drang zur Realität hatte, sagte er sich, denn sonst hätte er sich womöglich eingebildet, in dem Haufen aus Schutt und Asche, der sich vor ihnen als Wand auftürmte, schwache Stimmen zu hören.
    »Hörst du sie?« fragte Blondel. Guy nickte. »Das war’s dann. Wir müssen sofort zurück. Schnell!«
    Sie rannten aus dem Tunnel. Die Stimmen folgten ihnen, wobei sie erst regelmäßig, dann in Intervallen immer lauter wurden. Das Ganze klang sehr beängsti-gend.
    »Beeilt auch!«
    Während er lief, versuchte Guy zu verstehen, was die Stimmen sagten. Die meisten von ihnen redeten in einer Sprache, die er nicht verstand – Französisch war dabei, eine Menge Lateinisch und wahrscheinlich auch Spanisch; nur gelegentlich sagte jemand etwas auf englisch.
    Da sich jedoch nichts davon sonderlich erfreulich anhörte, rannte Guy noch schneller.
    »Komm schon, Guy!« schrie Blondel. »Um Himmels willen, lauf schneller!« Guy schaute nach vorn, 161
    aber in der Dunkelheit des Tunnels konnte er nicht erkennen, wo die anderen hingelaufen waren. Unterdessen veranstalteten die Stimmen einen Höllenlärm und schienen den gesamten Raum hinter ihm auszufüllen. Fast wäre er hingefallen, als er über etwas stolperte, und während er taumelnd weiterlief, merkte er, daß ein dunkler Fleck über seinen Kopf hin-wegflog und etwas auf französisch kreischte. Danach kam etwas auf italienisch, dann lateinisch und irgend etwas, das sich wie Türkisch anhörte.
    Guy versuchte nun, mit geducktem Kopf noch schneller zu laufen, doch stieß seine Muskelkraft irgendwann an ihre Grenzen.
    »Sehr geehrter Herr« , keuchte jemand hinter ihm.
    »Sehr geehrter Herr, sehr geehrter Herr.« Er spürte den Atem fast im Nacken. Andere Stimmen waren auch dabei. Alle sagten dasselbe, aber es waren völlig verschiedene Stimmen, hohe und tiefe, alte und junge, weibliche und männliche, freundliche, unfreundliche und sehr feindlich gesinnte.
    »An Herrn G. Goodlet« , kreischten sie, »wohnhaft Mayflower Avenue siebenunddreißig, Sutton Surrey.
    Aktenzeichen ) Schrägstrich drei-sieben-neun D vier-sechs, dreizehnter Oktober, neunzehnhunderteinund-siebzig. Sehr geehrter Herr Goodlet …«
    Guy hielt sich die Ohren zu, was aber keinen Unterschied zu machen schien. Einige der Stimmen drangen von oben bis zu ihm hindurch, und sein Gefühl sagte ihm, daß es für ihn das Ende wäre, wenn sie es schaffen sollten, ihn von vorne zu trak-162
    tieren. Irgendwie gelang es ihm, noch schneller zu laufen.
    »Bei Durchsicht unserer Unterlagen ist uns aufgefallen, daß Sie seit neunzehnhundertzweiundvierzig keine Steuererklärung mehr abgegeben haben.« Guy brüllte laut los, doch konnte er nicht sich, sondern nur diese unendlich vielen eiskalten Stimmen hören, die unnachgiebig fortfuhren:
    »Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß für sämtliche zu zahlenden Steuern die gesetzlich vorgeschriebenen Zinsen fällig werden, wenn die entsprechende Steuerschuld nicht innerhalb von dreißig Tagen beglichen wird.« Irgend etwas hatte sich an seinem rechten Ohrläppchen festgekrallt und schrie ihm nun direkt in den Gehörgang: »Wenn die vorgeschriebenen Formulare nicht innerhalb von sieben Werktagen ausgefüllt an uns zurückgeschickt werden, bleibt uns leider nichts anderes übrig, als …«
    Dann verlor er das Gleichgewicht, prallte gegen die Tunnelwand, geriet hoffnungslos ins Straucheln und stürzte schließlich zu Boden. Eine gewaltige Ge-räuschwelle

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