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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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einer von vielen florentinischen jungen Gaunern gewesen war, die prahlerisch bunte Kniehosen und Bruchstücke von Santa Croce an den Haustüren feilboten, hatte er weit härtere Nüsse zu knacken gehabt als diese hier.
    »Denken Sie doch mal darüber nach, wie lange Sie schon hier unten sind«, fuhr er unbeirrt fort. »Hundert Jahre? Zweihundert Jahre? Oder treffen fünfhundert Jahre womöglich noch eher zu?«
    Der Genuese gab einen gequälten Laut von sich, der sich irgendwo zwischen einem Stöhnen und einem leisen Aufschrei bewegte.
    Giovanni nickte. »Okay, nehmen wir mal an, vier-hundertfünfzig Jahre, fünfzig Jahre mehr oder weniger tun sowieso nichts zur Sache. Nun, ein angemes-263
    sener Einsatz von, sagen wir mal, eintausend Gold-byzantinern, investiert bei einer Staffelverzinsung von fünfundzwanzig Prozent, steuerfrei auf vierhun-dertfünfzig Jahre, ergibt nach Adam …«
    Der Genuese jaulte plötzlich auf und versuchte, Giovanni in den Nacken zu beißen. Giovanni, der ebenso intelligent wie entschlußkräftig war, sprang zur Seite, schnappte sich ein Ruder und schlug damit dem Genuesen mit voller Wucht auf den Kopf. In seiner Funktion als Versicherungsmakler vergaß er natürlich nicht, seinem Opfer gegenüber die Vorteile einer Unfall- und privaten Krankentagegeldversiche-rung zu erwähnen.
    Doch noch bevor er die dazu notwendigen Antrags-formulare herausholen oder gar die Kappe seines Füll-federhalters abziehen konnte, hörte der Genuese zu zucken auf und lag plötzlich völlig regungslos da.
    Giovanni seufzte schwer; schon wieder eine dieser ungenutzten Gelegenheiten, dachte er unwillkürlich.
    »Ist er etwa … ?« fragte Marco.
    Giovanni nickte. »Selbst schuld. Ich meine, wir könnten natürlich für ein paar Tausender rückwirkend sein Leben versichern, aber das scheint mir bei dem Trottel der Mühe nicht wert zu sein. Kommt, laßt es uns mal dahinten versuchen.«
    Sie spazierten weiter über das nichtstoffliche Meer und hielten sich bei Laune, indem sie vorbeiziehen-den Schiffen günstige Versicherungen für den Erlebensfall oder Pfandbriefe und Kommunalobligatio-nen anboten.
    264
    Nach etwa einer Stunde stießen sie auf etwas, das verdächtig wie eine Bank aussah.
    »Schaut nicht hin«, warnte Giovanni die anderen.
    »Das ist bestimmt eine Fata Morgana oder so was.«
    Iachimo schüttelte den Kopf. »Seht doch mal genau hin. Die sind Mitglied in der fimbra, jedenfalls steht das in dem einen Fenster. Also muß das auch eine Bank sein.«
    »Ach, Iachimo …«
    »Aber Giovanni, die dürfen doch gar nicht das fimbraLogo benutzen, wenn sie nicht …«
    Giovanni zuckte die Achseln. Wenn er schon Hal-luzinationen bekam, dann war eine Bank bestimmt nicht die schlechteste Wahnvorstellung. Und erst recht nicht eine Bank, die man unter den hiesigen Umständen als eindeutig außerhalb jedes Hoheitsbe-reiches bezeichnen konnte.
    »Wir könnten ja mal reingehen«, schlug er unverbindlich vor. »Nur mal so, auf gut Glück …«
    Es war eine sehr schöne Bank, und bevor er wuß-
    te, was er tat, hatte sich Giovanni die Taschen mit Prospekten und Merkblättern vollgestopft. Erst dann fiel ihm etwas sehr Merkwürdiges auf. »Iachimo, Marco, außer uns ist hier ja niemand.«
    Iachimo schnüffelte wie ein Hund und sagte: »Du hast recht, völlig verlassen. Wie können die Mitglied in der fimbra sein, wenn niemand hier ist?«
    Giovanni drückte auf die Klingel; niemand kam, was in einer Bank nicht unbedingt viel zu bedeuten 265
    hatte. Als nächstes versuchte er, die Tür zu öffnen, die in den Bereich hinter dem Panzerglas führte. Sie öffnete sich.
    »Kommt ihr?« forderte er seine beiden Brüder auf.
    Marco blickte nervös auf die Überwachungskame-ras.
    »Meinst du wirklich, daß wir da reingehen sollten?
    Ich meine, wir sind in den Archiven und …«
    »Keine Angst, hier ist doch niemand«, redete Giovanni ihm zu. »Also kommt schon.«
    Als sie durch die Tür gingen, sprangen mit einem Mal sämtliche Computermonitore an, auf denen zuvor nichts zu sehen gewesen war, und auf den Bild-schirmen erschienen die aktuellen Aktienkurse aus der ganzen Welt. Einen oder zwei davon hatte selbst Giovanni nie zuvor gesehen.
    »Hier, guck mal, Iachimo«, forderte er seinen Bruder auf. »Du kennst dich damit besser aus. Was bedeutet denn der Aktienindex ΣτδτβδΦπΣΩ sechshundert?«
    Iachimo runzelte angestrengt die Stirn, dann schüttelte er den Kopf; offensichtlich machte es ihm zu schaffen, daß er noch nie davon

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