Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
klammert. Aber am meisten freut sie sich darauf, dass ich ihr versprochen habe, mit ihr ins Russell Office Building zu gehen; das macht sie richtig an. Warst du mal dort? Die Hochburg der Macht, Mann. Von dort aus regieren die Senatoren das Land. Mickey kann es gar nicht mehr erwarten, sie persönlich kennenzulernen. So ein Pech, dass du nicht dabei sein kannst.«
»Viel Vergnügen.« Shane suchte schleunigst das Weite. Ihn juckte es in den Fingern, Josh auf die Bretter zu schicken. Nicht etwa, weil er keinen Hehl aus seiner Häme machte oder Shane es sich nicht leisten konnte, mitzufahren – und erst
recht nicht, weil sein Vater auf vertrautem Fuß mit Senatoren stand und Mickey sie mit seiner Hilfe persönlich kennenlernen würde.
Was ihm an die Nieren ging, war die Bemerkung über den Blaurücken-Waldsänger. Josh hatte Mickeys Liebe zu Vögeln als Kinderkram abgetan; er verdiente es nicht, überhaupt etwas davon zu wissen. Shane dachte an die Zeit, die sie gemeinsam am Strand verbracht hatten. Wenn er aus dem Wasser gekommen war, hatte sie in ihren grünen Gummistiefeln auf dem Pier gestanden und ihm aufgeregt von den Vögeln erzählt, die sie beobachtet hatte, zum Beispiel eine Schwarzkopfruderente in den Untiefen oder einen Zedernseidenschwanz im Dickicht. Sie hatte ihm die Arme um den Hals gelegt, und er hatte sie heruntergehoben, hatte dabei ihren festen Körper unter seinen kalten nassen Händen gespürt. Aus ihren Erzählungen ging hervor, wie sehr sie Vögel liebte, und deshalb waren sie auch ihm lieb und teuer.
Als er durch den Korridor ging, wünschte er, Mickey wäre bei ihm; er sehnte sich danach, mit ihr zu sprechen, ihr zu erzählen, was Josh soeben gesagt hatte. Er kannte ihren Stundenplan – als Nächstes hatte sie Biologie, und die Räume für den naturwissenschaftlichen Unterricht befanden sich in einem anderen Stockwerk. Er hatte noch ein paar Minuten Zeit, bis der Geschichtsunterricht begann, deshalb legte er seine Hausaufgabe auf das Lehrerpult und setzte sich auf seinen Platz. Während sich das Klassenzimmer nach und nach füllte, holte er den Gedichtband hervor, den Mickey ihm geliehen hatte.
Josh hatte keine Ahnung, was für ein Mensch Mickey war; allein das Buch in der Hand zu halten, verlieh Shane ein Gefühl der Stärke. Er spürte ihre Zuverlässigkeit, ihre innere Kraft, die ihm aus den Seiten zufloss. Dennoch wurmte ihn die Vorstellung, dass sie sich mit Josh über Vögel unterhielt. Selbst wenn es im Dienst einer guten Sache geschah.
Als er das Buch aufschlug, merkte er, dass seine Hände zitterten. Mickey hatte das Gedicht in ihrem Englischkurs gelesen, und es passte so perfekt zu ihrem Vorhaben, dass sie Shane gebeten hatte, es ebenfalls zu lesen. Sie hatten es kopiert und dem Ordner für Mr. O’Casey beigefügt.
Dem Ordner mit ihren schlagkräftigsten Argumenten. Mit Gedanken über den Krieg, über die Schlacht, die vor ihrer Haustür an der Küste von Rhode Island stattgefunden hatte und über die Männer, die fern ihrer Heimat gestorben waren und in einem Massengrab lagen.
Genau das war U-823: Ein Massengrab. Shane hatte das Buch behalten, wegen des Gedichts von Hardy, das ihm mehr bedeutete als Mickey ahnte. Er begann zu lesen:
They throw in Drummer Hodge, to rest
Uncoffined – just as found:
His landmark is a kopje-crest
That breaks the veldt around;
And foreign constellations west
Each night above his mound.
Young Hodge the Drummer never knew –
Fresh from his Wessex home –
The Meaning of the broad Karoo,
The Bush, the dusty loam,
And why uprose to nightly view
Strange stars amid the gloam.
Yet portion of that unknown plain
Will Hodge forever be;
His homeley Northern breast and brain
Grow to some Southern tree,
And strange-eyed constellation reign
His stars eternally.
Gerade als Shane das Gedicht von dem Trommler zu Ende gelesen hatte, betrat die Lehrerin den Raum. Er senkte den Kopf, damit niemand bemerkte, dass seine Wangen brannten. Mickey hatte ihm erzählt, dass es sich um ein Gedicht aus dem Krieg handelte, von dem Trommler Hodge, der auf dem Schlachtfeld den Tod gefunden hatte, unter fremden Sternen.
Sie hatte seine Hand am Strand gehalten, und gemeinsam hatten sie über das Wasser geblickt. Bevor er Mickey kannte, war ihm das U-Boot nur deshalb wichtig gewesen, weil es eine gigantische Brandung zum Wellenreiten schuf. Doch seither lagen ihm auch die Männer am Herzen, die darin gestorben waren. Sie gehörten einer deutschen
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