Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Gewohnheit beibehalten. Er ging zum Spülbecken, in dem sich Wasserschalen, Becher und Pipetten, mit denen er den Eulenjungen Medikamente und Futter verabreichte, stapelten und füllte den Kocher bis an den Rand.
»Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«
»Joe. Ich wollte nur …«
»Earl Grey oder Irish Breakfast?«
»Irish Breakfast.«
»Gute Wahl.« Er nickte. »Wie man es von einer Halloran erwartet. Halt, das ist ja Ihr Familienname. Wie war Ihr Mädchenname?«
»Fallon.«
»Aus Tipperary, richtig?«
»Meine Großeltern stammen von dort.«
»Irland und Rhode Island haben einiges gemeinsam. Jeder weiß, woher die Leute kommen und wer mit wem verwandt ist. Das ist der Vorteil, wenn man von einer relativ kleinen Insel stammt.«
»Joe, es tut mir so leid, dass ich das Geheimnis verraten habe; das war unverzeihlich. Ich wollte es nicht, aber das ist keine Entschuldigung.« Er hatte ihr den Rücken zugewandt, hantierte mit den Teetassen. Das Wasser kochte blitzschnell – kaum war der Kocher eingeschaltet, begann er auch schon zu zischen.
»Mein Bruder hatte so einen Wasserkocher in seiner Nissenhütte – eine von diesen Wellblechhütten mit halbrundem Dach, die im Ersten Weltkrieg für die britische Armee entwickelt wurden.« Joe klopfte auf den metallenen Deckel. »Er wurde geradezu süchtig nach Tee da drüben in England – in East Anglia, wo er stationiert war. Diese Briten lieben ihren Tee, und Damien gehörte zu den Menschen, die wissen, was schmeckt. Hielt außerdem wach bei seinen langen Flügen. Hat mir ständig was zugeschickt, und ich hatte nichts Besseres zu tun, als selber mit dem Teetrinken zu beginnen.«
Neve schwieg. Er spürte die Spannung, die von ihr ausging, sie beide umhüllte. Bei ihren vorherigen Besuchen hatten sie sich immer im Haupttrakt der Scheune aufgehalten, sein Privatbüro hatte sie bisher nicht betreten.
Werke seines Bruders füllten die Wände. Nicht nur fertige Bilder, sondern auch Skizzen und Studien – Bleistiftzeichnungen von Reihern, die in Salztümpeln standen, Höhleneulen, die über Felder flogen – angedeutet und rudimentär.
»Die gefällt mir am besten«, sagte er und deutete auf die Skizze einer Schleiereule, die aus der Dachluke eines Kirchturms spähte. »Damien und ich sollten den Gottesdienst besuchen, aber stattdessen streunten wir lieber durch die Straßen. Ich rauchte heimlich Zigaretten, und er zeichnete die Eule. Wir waren damals fünfzehn und siebzehn.«
»Wer war der Ältere?«, fragte Neve leise.
»Ich.«
»Als ich Ihnen die Schneeeule brachte, habe ich das Bild bewundert, das draußen in der Scheune hängt, und Ihnen erzählt, dass ich an dem Katalog für die Berkeley-Ausstellung arbeite; aber Sie haben mit keinem Wort erwähnt, wer er ist.« Ihre Stimme klang verletzt.
»Stimmt.«
»Sie wollten nicht, dass es bekannt wird. Deshalb tut es mir so leid.«
Ihr Gesicht wirkte angespannt und verschlossen, doch das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch; sie hatte hohe Wangenknochen, intelligente blaue Augen, rosige Wangen und Lippen. Kein Wunder, dass Tim sich rettungslos in sie verliebt hatte. Und das hatte er – ohne jeden Zweifel.
»Aber er wollte, dass Sie Bescheid wissen, sonst hätte er es Ihnen nicht erzählt«, sagte er, als das Wasser kochte.
»Was meinen Sie damit?«
»Sie wissen es doch von Tim, oder? Dass Berkeley Damien ist – war.«
Sie zögerte; Joe sah, dass sie versuchte, seinen Sohn zu beschützen, was ihm ein Lächeln entlockte. Deshalb wandte er ihr den Rücken zu und goss heißes Wasser in die Teekanne aus braunem Porzellan.
»Seltsam«, sagte er.
Sie schwieg immer noch, ließ sich nicht aus der Reserve locken.
»Eine vertrackte Situation, in der wir uns befinden. Ich habe die letzten sechzig Jahre damit verbracht, meinen Bruder zu beschützen, und nun beschützen Sie Tim. Wissen Sie – ich glaube, die beiden sind alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Lassen Sie mich raten: Tim hat sich wieder zurückgezogen, dieses Mal, weil Sie alles über Damien ausgeplaudert haben.«
»Er redet nie wieder mit mir.«
Joe schüttelte den Kopf, den Blick auf die Teekanne gerichtet. »Das ist lächerlich. Was haben Sie verbrochen?«
»Ich habe es meiner besten Freundin erzählt, als mein Chef gerade zur Tür hereinkam; und der hatte nichts Besseres zu tun, als das Fernsehen – Channel 10 – zu informieren. Sie haben es ja schon gehört – von Beth. Ich war gerade bei Tim, als sie ihn anrief.«
»Beth.« Er
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