Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Joe?«
»Dass Sie ein Geschenk des Himmels sind.«
»Ich?« Sie sah ihn mit großen Augen an. »Wieso?«
»Sie und Ihre Tochter. Sie haben Tim gefunden und ihm etwas gegeben, wofür es sich zu leben lohnt. Er hat sich lange in seiner Hütte am Strand abgekapselt. Und sich als Hüter des Grabes betrachtet – des U-Boots, das ich bombardiert habe, und der Männer, die durch meine Hand gestorben sind. Hin und wieder werden Knochen an den Strand gespült, wussten Sie das? Tim benachrichtigt jedes Mal die Navy. Er sorgt dafür, dass die sterblichen Überreste ein ordentliches Begräbnis erhalten. Das tut er für Frank.«
»Weil Frank ertrunken ist?«
Joe nickte; die Traurigkeit verwandelte die kleinste Bewegung in eine Anstrengung, der er kaum gewachsen war. »Und er tut es für mich.«
»Für Sie?«
»Ja. Wir reden nicht darüber, weil zwischen Tim und mir immer noch Funkstille herrscht. Aber er kennt meine Einstellung. Sehen Sie, Neve – wir ziehen aus Pflichtgefühl oder wegen der Ehre in den Krieg, wir töten oder werden getötet. Aber damit ist es nicht zu Ende. Soldaten, ob zu Wasser, zu Land oder in der Luft, tragen schwer an der Verantwortung für die Menschenleben, die sie auf dem Gewissen haben. Und das weiß Tim.«
»Deshalb liegt ihm das U-Boot so sehr am Herzen.«
»Genau. Als Sie in sein Leben getreten sind, dachte ich, dass es Hoffnung gibt.«
»Hoffnung worauf?«, flüsterte sie.
»Dass Sie ein wenig Licht in das freudlose Leben meines Sohnes bringen«, erwiderte Joe, als die beiden Schneeeulen mit einem leisen Rascheln aneinanderrückten, das weiße Gefieder in der Dunkelheit des Käfigs miteinander verschmelzend. »Und es ihm doch noch vergönnt sein würde, glücklich zu werden.«
21
D er silberne Lexus parkte vor der South County High, und wenn in der nächsten Viertelstunde kein Revierpolizist des Weges kam, um Strafzettel zu verteilen, würde vermutlich alles gutgehen. Nun, nicht wirklich gut – die Situation, die man gemeinhin als »Leben« bezeichnete, war eine absolute Katastrophe. Aber wenigstens hatte er noch ein Auto.
Das Auto war im Augenblick von zentraler Bedeutung. Richard war eine bewegliche Zielscheibe. Er war mit den Unterhaltszahlungen für seine Tochter im Rückstand, konnte die Hypotheken fürs Haus nicht zahlen, stand bei den Bars des ganzen Staates in der Kreide, Alyssa war das reinste Nervenbündel, Neve hatte ihn vor Gericht gezerrt und seine Leasingfirma schien ebenfalls mit ihrer Geduld am Ende zu sein. Er hatte die Raten für den Wagen so lange wie möglich bezahlt, da er wusste, dass er notfalls im Lexus schlafen konnte, wenn alles in die Binsen ging – was im Moment ganz danach aussah.
Es war kein Zuckerschlecken, ein Versager zu sein. Es kostete Mühe, das eigene Leben so in den Sand zu setzen, dass man am Ende war. Wirklich. Er hatte eine Liste mit den zehn schlimmsten Augenblicken in seinem Leben zusammengestellt. Sie wechselten einander ab, je nach Umständen, doch der letzte schlimmste Augenblick war das Telefongespräch mit Alyssa gewesen, ihre Stimme zu hören, die ihm ins Ohr kreischte, der Sheriff habe gerade vor ihrer Tür gestanden, mit einem Haftbefehl.
»Nach dir wird gefahndet!«, hatte sie geschrien. »Du wirst steckbrieflich gesucht, wie ein gewöhnlicher Verbrecher! Stimmt das, du hast keinen Unterhalt für Mickey gezahlt? Für deine eigene Tochter? Was glaubst du wohl, wie es dem Mädchen dabei geht? Muss ich damit rechnen, dass mir und dem Baby irgendwann das Gleiche blüht? Dass wir dir hinterherlaufen müssen, während du dein letztes Hemd versäufst, in irgendeiner deiner miesen Spelunken, die du ja so liebst? Die du mehr liebst als mich? «
Bars lieben? Wie kam sie nur auf diese Idee!
Bars waren eine Art Fuchsbau für ihn. Das war alles – nicht mehr und nicht weniger. Und wer hielt sich schon gern in einem Fuchsbau auf, wenn er noch bei Sinnen war? Es waren Zufluchtsstätten, Festungen gegen die zahllosen Grausamkeiten der Welt. Das September’s war ein Fuchsbau, in den er vor seinen Geldproblemen flüchtete; im Hitching Post fand er Unterschlupf, um die Enttäuschungen der Liebe zu verdrängen; Mike’s Sports Bar war seine letzte Rettung, wo er zu vergessen suchte, was für ein lausiger Vater er war.
Nun saß er zitternd in seinem Wagen, weil sein Körper unter Entzugserscheinungen litt. Er hatte seit annähernd vierundzwanzig Stunden keinen Tropfen getrunken. Vor langer Zeit hatte Neve Broschüren von Edgehill
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