Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Gedanken, dass ihr Vater das einzige Telefonat, das ihm auf dem Polizeirevier zugestanden wurde, mit dem Senator geführt hatte – was mochte er von ihm gewollt haben? Vermutlich hatte er seinen alten Freund angefleht, ihn aus dem Gefängnis zu holen – wenn auch vergeblich. Ihr Vater war noch immer auf dem Revier, als ihre Mutter sie trotz ihres Widerstandes nach Hause gefahren hatte. Mickey wäre die ganze Nacht dortgeblieben, aber der diensthabende Polizist hatte ihr kurz und bündig erklärt, dass sie gehen müsse, er sei kein Babysitter.
Babysitter! Als wäre sie ein Wickelkind. Dabei arbeitete sie wie verrückt, um ein Wahrzeichen der Stadt zu retten, eine Gedächtnisstätte zu schaffen. Und dieser Polizist hatte sie behandelt, als wäre sie eine kleine Heulsuse und überdies nicht ganz bei Trost. Nur weil sie sich darüber aufgeregt hatte, dass ihr Vater festgenommen worden war. So hätte doch wohl jeder reagiert!
Und an der ganzen Situation war nur Shane schuld. Was hatte ihn dazu bewogen, ihren Vater anzuzeigen – ans Messer zu liefern? Wenn ihr Vater getrunken hätte, wäre das noch verständlich gewesen. Aber er hatte keinen Tropfen angerührt – seit Tagen. Und nun befand er sich in Haft, auf Gedeih und Verderb dem Gericht ausgeliefert, nur weil er gerade eine Pechsträhne hatte.
»Alles in Ordnung?« Chris gesellte sich zu ihr.
»Alles bestens.«
»Möchtest du Sprudel? Oder vielleicht Käse und ein paar Cracker?«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Auch keinen Appetit?«
»Nein.«
»Wahrscheinlich liegt es daran, dass du dir Sorgen um deinen Vater machst.«
Mickey nickte. »Ich wollte auf dem Polizeirevier bleiben. Aber die Polizisten haben mich nicht gelassen, und Mom hat mich einfach mitgeschleppt.«
»Das mit deinem Dad wird schon wieder.«
»Das bezweifle ich.« Mickey stellte bestürzt fest, dass ihr Kinn zu zittern begann. Sie war schon den ganzen Tag kurz davor gewesen, in Tränen auszubrechen – oder zumindest, seit ihr Vater sie von der Schule abgeholt hatte. Es war wunderbar gewesen, bei ihm zu sein – mit ihm im Auto zu sitzen, durch die Stadt zu fahren, wie andere Väter und Töchter. Zugegeben, er hatte nach Gin gerochen – nach mehrere Tage altem Gin. Warum hatte Shane es nicht dabei belassen können?
»Du bezweifelst was?«
Mickey hob den Blick und sah plötzlich den alten Mr. O’Casey vor sich stehen. Sie hätte ihn beinahe nicht erkannt – er trug eine alte Navy-Uniform, mit Mütze und allem, was dazu gehörte.
»Oh, hallo!«, begrüßte sie ihn. »Wie geht es der Eule?«
»Gut. Sie hat Freunde gewonnen. Sie macht Fortschritte, es geht ihr mit jedem Tag besser. Und jetzt wüsste ich gerne, was du bezweifelst.«
»Dass mit meinem Dad alles in Ordnung kommt«, erwiderte Mickey mit leiser Stimme.
Der alte Mr. O’Casey blickte sie nachdenklich an. Er sah aus, als hätte er ihr gerne einige Fragen über ihren Vater gestellt, und seltsamerweise hätte es ihr nichts ausgemacht, sie zu beantworten. Ein einziger Blick in seine wasserblauen Augen verriet ihr, dass er Fehler und Leid aus eigener Erfahrung kannte; er würde nicht auf ihren Vater herabsehen wie Chris es tat, so gerne Mickey sie auch mochte.
»Hallo, ich bin Christine Brody«, stellte Chris sich nun vor. »Eine Freundin von Neve und Mickey.«
»Joseph O’Casey.«
»Tims Vater«, erwiderte Chris augenzwinkernd, als wäre sie in ein Geheimnis eingeweiht. Mickey blickte sie an und fragte sich, ob die Freundin ihrer Mutter nicht bemerkt hatte, dass Tim sich in letzter Zeit ziemlich rargemacht hatte.
»Genau.« Er wandte sich Mickey zu. »Was ist mit deinem Vater?«
Mickey schüttelte stumm den Kopf. Sie wollte nicht in die Einzelheiten gehen, weder hier noch jetzt. Sie musterte Joe. »Warum tragen Sie Uniform?«
»Zu Ehren meines Bruders.«
Die Anwesenden begannen, auf ihn aufmerksam zu werden. Dominic und die Reporter hatten den alten Mann in Uniform entdeckt, genau wie ihre Mutter und die weißhaarigen Leute, mit denen sie sich gerade unterhielt. Plötzlich trat Stille ein. »Das ist Joe O’Casey«, hörte Mickey jemanden flüstern.
»Joe O’Casey, Damiens Bruder?«, rief einer der weißhaarigen alten Männer.
»Richtig.« Joe wandte sich in ihre Richtung. »Und wer sind Sie?«
»Ich bin George Heyer. Damiens …«
Joe stand wie angewurzelt da, sprachlos. »Damiens Funker«, sagte er schließlich.
»Wir sind von Damiens alter Einheit übrig geblieben«, fügte einer der anderen Männer
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