Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
sich ziemlich sicher, sie noch nie in der Galerie gesehen zu haben. Sie drückte Chris die Hand und ging zu ihnen, um sie zu begrüßen.
»Guten Abend. Gefällt Ihnen die Ausstellung?«
»Sehr«, erwiderte einer der Männer. »Wunderbare Bilder.«
»Ja, Berkeley war ein begnadeter Künstler.«
Der größte Mann in der Runde lachte leise und betrachtete kopfschüttelnd ein Ölbild mit zwei Zwergohreulen, die auf demselben Ast saßen.
»Was ist daran so komisch?«, fragte Neve.
»Für uns war er nicht Berkeley, sondern Damien.«
»Sie kannten ihn als Damien O’Casey?«
»Ja. Wir waren Mannschaftskameraden – haben den ganzen Zweiten Weltkrieg vom ersten Tag an miteinander durchgemacht, im Jagdbombergeschwader 492. Ich bin George Heyer, das ist meine Frau Sally.« Er stellte noch zwei weitere Mitglieder seiner Einheit mit ihren Frauen vor.
»Damien und mein Mann sind zusammen geflogen«, erklärte Sally, eine schlanke, weißhaarige Frau mit einem rosa Kostüm und ausgeprägtem Südstaaten-Akzent. »George und ich waren bereits verheiratet, und ich erhielt oft Briefe, in denen er seinen Freund Damien erwähnte …«
»Sie hatten keine Ahnung, dass er Maler war?«, fragte Neve.
»Wir wussten, dass er wie verrückt malte«, sagte Gerry McGovern. »Wenn er gerade keinen Einsatz flog, schrieb er Briefe nach Hause – an seine Mutter, seinen Vater und an seinen Bruder Joe –, und da lagen immer etliche Seiten mit Zeichnungen bei.«
»Von Vögeln, um genau zu sein«, sagte George. »Für uns war er der Vogelmann, aber der Spitzname blieb nicht haften. Er war der Silberhai. Daraus leitete sich später auch der Spitzname unserer Flugzeuge ab.«
»Wir gehörten zur Besatzung der ersten Tarnkappen-Flugzeuge«, erzählte Gerry.
»Sie waren mit einer Silberlegierung überzogen und es gelang uns so, der deutschen Radarüberwachung zu entgehen«, erklärte Simon Clark. »Wir flogen tief ins deutsche Hinterland, und das Wissen, dass wir die Silberhaie waren, verlieh uns zusätzliche Stärke. Wir hatten das Gefühl, unbesiegbar zu sein, wissen Sie? Vor allem mit dem Hai, den Damien auf die Flugzeugnase malte.«
»Wo ist eigentlich Joe?«, fragte George.
»Genau, wo steckt er?«, hakte Simon nach. »Wir waren nicht sicher, ob er überhaupt noch lebt, aber als wir die Zeitungsberichte lasen, beschlossen wir herzukommen, um uns Damiens Bilder anzuschauen und seinen Bruder kennenzulernen.«
»Die Männer fühlten sich wie eine große Familie«, meinte Sally. »Sie sind damals miteinander durch dick und dünn gegangen, kannten die Namen der Eltern, Brüder, Freundinnen und Ehefrauen …«
»Also, wo steckt Joe O’Casey?«, fragte Gerry abermals. »Ich weiß, dass er eine lokale Berühmtheit ist und das U-Boot versenkt hat, von dem man ständig in der Zeitung liest. Die Geschichte hat sogar in San Francisco, wo Mary und ich wohnen, Schlagzeilen gemacht.«
»Wie könnte es auch anders sein, wenn Cole Landry seine Finger im Spiel hat? Dieser verdammte Narr«, schnaubte George. »Wo ist Joe? Ich habe einen weiten Weg in Kauf genommen, um ihn endlich persönlich kennenzulernen …«
»Ich habe ihn eingeladen«, antwortete Neve leise. Sie wollte nicht den Rest der Familiengeschichte vor diesen Leuten ausbreiten – sosehr sie Damien auch liebten, manche Dinge waren rein privater Natur, gingen nur Joe, Tim und Frank an.
»Ich kann nicht glauben, dass er der Ausstellung seines Bruders fernbleibt.« George runzelte die Stirn.
»Lass es gut sein, mein Lieber.« Sally nahm seinen Arm. »Du hast selber gesagt, wie schwer es sein wird – die Galerie zu betreten und zu sehen, wie all diese Bilder zum Leben erwachen … gemalt von deinem Freund; für seinen Bruder muss es hundertmal schwerer sein.«
»Möglich«, knurrte George.
»Trotzdem ist es absolut enttäuschend«, sagte Simon. »Den weiten Weg von Chicago hierher zu machen …«
»Und von Alabama«, fügte George hinzu.
»Absolut enttäuschend«, murmelte Simon abermals, während alle das Bild von den beiden nebeneinandersitzenden Zwergohreulen auf dem Ast betrachteten.
Mickey saß am Schreibtisch und versuchte, das Stimmengewirr in der Galerie zu ignorieren; die Leute unterhielten sich über die Ausstellung und es hörte sich an, wie das Summen eines Bienenstocks. Sie ordnete die zahlreichen neuen Zuschriften, die sie erhalten hatte. Wenn ihr Zeitplan funktionierte, konnte sie Senator Sheridan alle Briefe übergeben. Sie krümmte sich innerlich bei dem
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